Jetzt ist es an der Zeit, sich der Geschichte dieses Ortes zu stellen
08. Mai 2019
Grußwort zur Einweihung der Neulandhalle am 08.05.2019
Sehr geehrter Landtagspräsident, sehr geehrte Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, sehr geehrter Herr Dr. Clausen als Kulturbeauftragter der EKD, sehr geehrter Professor Danker, sehr geehrte Frau Präses Hillmann sehr geehrter Propst Dr. Crystall, meine sehr geehrten Damen und Herren aus Kirche und Gesellschaft!
Meine erste Begegnung mit der Neulandlandhalle reicht über 35 Jahre zurück. Im Jahr 1982 habe ich hier als Student an einem Seminar in der kirchlichen Jugendbegegnungsstätte teilgenommen. Ich habe Erinnerungen an dieses Wochenende, auch an die Gebäude hier, vor allen Dingen diese einzelnen Hütten mit Zeltdachform und auch noch an das zentrale Gebäude hier oben. Aber ich erinnere mich nicht, dass der historische Hintergrund und die Geschichte dieses Gebäudes in irgendeiner Weise thematisiert worden wären. Die Neulandhalle war in seiner Funktion ein kirchlicher Tagungsort wie viele andere.
Meine weiteren Begegnungen begannen dann vor etwa acht Jahren, als ich im Rahmen meiner bischöflichen Aufgaben auch von diesem Projekt hörte. Ich erinnere mich besonders an einen Informationsabend in Heide mit Professor Danker. Noch heute habe ich Einzelheiten dieses Abends vor Augen, dazu gehören auch Filmausschnitte von der Eröffnung des damaligen Adolf-Hitler-Koogs und die propagandistische Inszenierung der Reise Hitlers durch Schleswig-Holstein 1935.
Weitere Dokumente unterstrichen, wie die Landgewinnung, die das Leben der Menschen an der Westküste ja schon über lange Zeiten zuvor beschäftigt hatte, für die Propaganda genutzt wurde: Eindeichung und Landgewinnung wurden für die nationalsozialistische „Blut- und Bodenideologie“ geradezu vermarktet, und die Neulandhalle war das zentrale Gebäude in diesem Siedlungskonzept:
Quasi eine Antikirche, die der Lebensraumideologie gewidmet war und so als ein Ort geplant wurde, an dem die Menschen, und eben nicht nur die Siedler auf den Höfen im Koog, sondern auch die Massen, verführt wurden, den Konzepten der NS-Volksgemeinschaft zuzustimmen und damit auch den Verbrechen und der Gewaltherrschaft der Nazis, wie sie sich u.a. im Krieg um Lebensraum zeigten.
Kurz bevor diese Dokumentationen, die wir den Arbeiten von Frank Trende und Prof. Uwe Danker und anderen zu verdanken haben, auf dem Tisch lagen, hatte der Kirchenkreis Dithmarschen das Freizeitheim schließen müssen.
Es entstanden verschiedene Überlegungen zur möglichen Zukunft dieses Gebäudes. Der Verantwortung konnten und durften wir uns als Kirche nicht entziehen, aber es war zugleich klar, dass wir sie nicht allein tragen können. Mir war klar, dass damit eine Auseinandersetzung mit der historischen Bedeutung erfolgen musste.
Als die damaligen Dithmarscher Kirchenkreise 1971 aus der Neulandhalle einen kirchlichen Ort der Begegnung gemacht haben, war das in gewisser Weise eine Entnazifizierung dieser ehemaligen „Antikirche“. Doch lässt sich aus einer Gegenkirche nicht einfach eine Kirche machen. Deshalb war die Idee, hier einen Lernort zu schaffen für mich von Anfang an überzeugend. Auch wenn auf dem Weg bis zur Eröffnung heute viele Fragen geklärt werden mussten. Eine für mich entscheidende Frage, die ich an dem schon besagten Abend in Heide vor acht Jahren gestellt habe, lautete:
Wie ließe sich erkennbar machen, dass in diesem Projekt der Eindeichung der Anfang der Verführung zum Bösen lag?
Heute können wir uns davon überzeugen, dass dieser Anspruch durch das Zusammenspiel von Rekonstruktion und begleitender Ausstellung eingelöst wird.
Es hat mehrere Jahre gedauert, bis sich alle Beteiligten auf ein Konzept und vor allem die Finanzierung geeinigt hatten. Zahlreiche Gespräche im kirchlichen, aber vor allen Dingen auch im politischen Raum mussten geführt werden. So gilt mein Dank der seinerzeit zuständigen Ministerin, Frau Spoorendonk und ihrem Staatssekretär Herrn Schmidt-Elsässer, Herrn Professor Danker, Herrn Gietzelt sowie Propst Dr. Crystall)
Jetzt ist es an der Zeit, sich der Geschichte dieses Ortes zu stellen, um die Verführungskraft der nationalsozialistischen Ideologie und deren Propagandamechanismen, die in der Neulandhalle architektonisch dokumentiert sind, zu verstehen und daraus zu lernen.
Ich bin sehr froh, dass es nach langen Verhandlungen gelungen ist, eine Vereinbarung zwischen Kirchenkreis bzw. der Nordkirche und dem Land Schleswig-Holstein zu schließen, um das Gebäude Neulandhalle als bedeutendes Kulturdenkmal zu sichern, partiell zu rekonstruieren und als einen dauerhaften historischen Lern- und Gedenkort zu profilieren.
Die Neulandhalle zählt zu den wenigen Orten, an denen sich die Ideologie der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und des Lebensraumkonzeptes belegen und zugleich die menschenverachtenden Aspekte darstellen lassen.
Es ist gut, dass dieses besondere Projekt, das gleichzeitig eine große, von vielen kontroversen Diskussionen begleitete Herausforderung war, heute mit der Eröffnung zum Ziel kommt und nun besucht und genutzt werden kann.
Dieser neu konzipierte historische Lernort hat seine Bedeutung im Netzwerk der wichtigen Gedenkstätten im Land Schleswig-Holstein und wird zur Auseinandersetzung mit den Verstrickungen der eigenen „Heimat“ in die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte einen wichtigen Beitrag leisten.