Kirche ist kein Abgrenzen, sondern ein Miteinander
30. Dezember 2022
„Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“ – darüber sprachen Bischof Tilman Jeremias, Erzbischof Stefan Heße und Barbara Niehaus bei einer Podiumsdiskussion beim Taizé-Treffen in Rostock. Niehaus ist Leiterin einer christlichen Suppenküche in Bad Doberan und berichtete darüber, was Christsein mit handfesten Taten zu tun hat.
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„Wir und die anderen“ – dieses Denken dürfe es in der Kirche nicht mehr geben. Das stellten alle drei Podiumsgäste fest. Doch wie definiert sich Kirche dann?
„Wir sind alle bedürftig“
Bischof Jeremias nahm Bezug auf die vielen Menschen, die zeitgleich mit der Veranstaltung im Erdgeschoß der Michaeliskirche die Tafel besuchten: „Diese Menschen werden immer mehr. Es ist ein Test für unsere Gesellschaft, ob wir sie im Blick haben“, sagte er.
Die von Dietrich Bonhoeffer geprägte und vom Mecklenburger Altbischof Heinrich Rathke stark gemachte Formel „Kirche für andere sein“ sei in den letzten Jahren vielfach diskutiert und weiterentwickelt worden, „Kirche für andere höre sich etwas paternalistisch an. Nach dem Motto: Wir sorgen für dich. „Deshalb sagen wir lieber ‚Kirche mit anderen sein‘, weil wir alle bedürftige Menschen sind“, machte der Bischof klar.
Teilen heißt: Gemeinschaft leben
Aber auch da könne man nicht stehen bleiben: „Wenn wir so reden, sagen wir immer noch, hier sind wir – und dort sind die anderen. Aber wir gehören alle zusammen, es gibt nicht ‚wir‘ und ‚die anderen‘.“
Das war auch der Tenor von Barbara Niehaus, die von ihren Erfahrungen als Leiterin der Suppenküche in Bad Doberan erzählte: Dort, wo von Montag bis Freitag die unterschiedlichsten Menschen miteinander am Tisch sitzen und ein warmes Essen teilen, gehören alle zusammen.
„Wir dürfen nicht um uns selbst kreisen“
Erzbischof Stefan Heße betonte, die Kirche müsse raus aus den Kirchenmauern: „Menschen verstehen theologische Begriffe wie Erlösung immer weniger, und als Kirche stehen wir immer in der Gefahr, zu sehr um uns selbst zu kreisen. Immer, wenn die Kirche anstatt Gott sich selbst in den Mittelpunkt stellt, sich absolut setzt, geht etwas schief.“
So habe sich der sexuelle Missbrauch in der Kirche dort ereignet, „wo Kirche die eigene Macht in den Mittelpunkt gerückt hat.“ Deswegen sei es wichtig, herauszugehen.
Wir sollten „wie Sankt Martin vom Pferd steigen“
„Papst Franziskus hat gesagt, Christus klopft an die Tür, aber von außen, damit wir die Tür aufmachen und herausgehen. Das ist der Weg der Kirche im Norden und im Osten. Wie Sankt Martin vom Pferd absteigt, um mit dem Bettler seinen Mantel zu teilen, muss die Kirche von ihrem hohen Ross herunter. Wenn wir unter uns bleiben, gehen wir an uns selbst kaputt.“
Im Anschluss an das Podiumsgespräch kamen zahlreiche Fragen von jungen Leuten aus aller Welt, etwa: Wie kann man jungen Leuten authentisch den Glauben näher bringen?
Der Glaube muss mit konkreten Erlebnissen verbunden sein
Bischof Jeremias sagte dazu: „Es ist wichtig, dass wir von dem erzählen, was uns selbst trägt: Was habe ich für eine Erfahrung mit Gott gemacht? Was gibt meinem Leben Halt, wenn ich traurig bin und mich einsam fühle? Und wenn ich sage, ich fahre nach Taizé und erlebe diesen Halt da, dann ist das so ein Satz.“
Auch auf das Tun komme es bei der Glaubensvermittlung an, betonte Barbara Niehaus: „Ich sehe das bei unserer Suppenküche und der Tafel: Der Glaube muss Anknüpfungspunkte im Leben haben, so dass jemand etwas erlebt, woran er das Christentum festmachen kann. Das Tun gehört ganz wesentlich dazu, damit Gottes Liebe und Frieden wachsen können.
„Wir führen das Evangelium auf das Wesentliche zurück“
90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Suppenküche sind nicht religiös. Je gründlicher wir reflektieren, was wir da tun, umso einfacher fällt es, das zu rechtfertigen. Wir banalisieren das Evangelium nicht, sondern führen es auf wesentliches zurück“, sagte sie.