Matthias Claudius – Freigeist und Gottesnarr zugleich
20. Januar 2015
Hamburg/Reinfeld. Lebenskünstler, Freimaurer, frommer Dichter: Matthias Claudius hatte von allem etwas. Als Pastorensohn wurde er im schleswig-holsteinischen Reinfeld geboren. Sein Lied „Der Mond ist aufgegangen“ rührt heute noch viele Menschen – vor 200 Jahren starb er in Hamburg.
Seinem „Abendlied“ verdankt Matthias Claudius bis heute seinen literarischen Ruhm. „Der Mond ist aufgegangen“ – die schlichten, naturverbundenen und zugleich frommen Verse kennt fast jedes Kind. Viele andere, ebenso tiefgründige wie oft humorvolle Gedichte sind weniger bekannt. Der Redakteur des „Wandsbecker Bothen“ äußerte sich auch kritisch zu Kunst, Literatur und Gesellschaft seiner Zeit. Vor 200 Jahren, am 21. Januar 1815, ist er in Hamburg gestorben – ein Freigeist und ein Gottesnarr zugleich. Zum Todestag wird Claudius mit vielen Veranstaltungen in Hamburg und Schleswig-Holstein gewürdigt.
Einige halten Claudius für überschätzt: Weder seine Karriere als Dichter noch die als Verwaltungsfachmann verfolgte der am 15. August 1740 im schleswig-holsteinischen Reinfeld geborene Pastorensohn mit besonderem Ehrgeiz. Er entzog sich protestantischem Arbeitsethos, wie es Biograf Martin Gecke ausdrückt. Die „Existenz“ sei die „erste aller Eigenschaften“, schreibt Claudius selbst in einem Brief an seinen Sohn Johannes. Sein Werk bleibt überschaubar. Theologe Helmuth Burgert nennt ihn abfällig „Kalenderonkel“ und „Pastorenfetisch“.
Gefühlvoll und zugleich ironisch
Doch hat Claudius‘ gefühlvolle und oft zugleich ironische Lyrik, in der Alltagsleben und Glauben erscheinen, einen unnachahmlichen und eigenen Ton. Schon Zeitgenossen rühmten seine Verse. Sie entsprachen dem empfindsamen Geschmack und der Idee vom ursprünglichen ländlichen Leben, die damals en vogue war. Zwischen Aufklärung und Romantik nimmt Claudius einen besonderen Platz ein.
Dafür steht das Lied „Der Mond ist aufgegangen“, das vielleicht um 1778 entstand. Als idyllisches Volks- und Schlaflied wurde es rasch beliebt. Claudius staunt darin über die Schöpfung, lässt aber auch Todesahnungen anklingen („Kalt ist der Abendhauch“). Der Vergänglichkeit stellt er Glauben und Mitgefühl für den Nächsten, den „kranken Nachbarn“, entgegen. Heute steht das Lied, das Abraham Peter Schulz 1790 vertonte, im Evangelischen Gesangbuch: ein Inbegriff protestantischer Glaubenserfahrung.
Claudius‘ Freund Johann Gottfried Herder nahm es früh in seine Volksliedsammlung auf. Der Weimarer Generalsuperintendent unterstützte Claudius, wo er konnte. Als „Homme de Lettres“ (Schriftsteller) stand Claudius mit etlichen Geistesgrößen in Kontakt, darunter Lessing, Klopstock und Carl Phillip Emmanuel Bach. Der Philosoph Hamann schrieb über die 1775 erschienenen „Asmus“-Folgen, er habe sie mit Haut und Haaren verschlungen und sie hätten ihm gut getan. Goethe hingegen fand keinen Zugang zu Claudius; und das galt auch umgekehrt.
Sein "Bothe" verbindet Bildung mit Unterhaltung
„Asmus“, das ist Claudius Pseudonym. Als Redakteur des „Wandsbecker Bothen“ führt er die Figur dort ein und lässt sie im Dialog mit „Vetter Andres“ über Gott und die Welt reden. Rund 400 Leser hatte das Blatt des Hamburger Verlegers Bode, das sich an gebildete Bürger wandte und für dessen originelles Feuilleton – dank Claudius – Literaten von Rang sowie selbst Goethe schrieben.
Claudius gelingt es, im „Bothen“ Bildung mit Unterhaltung zu verbinden. Er reflektiert Neues aus Theologie, Philosopie, Literatur und Musik sowie Medizin und Technik; dabei will er den Leser nicht bevormunden, sondern ins Gespräch ziehen. Der finanzielle Erfolg bleibt dennoch aus. Claudius wird 1775 gekündigt.
Im selben Jahr erscheinen aber seine Arbeiten unter dem Titel „Asmus omnia sua secum portans (Asmus und alles, was er bei sich trägt) oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen“. Es werden acht Teile werden. Claudius bleibt der bescheidene „Bothe“.
Claudius und sein "Bauernmädchen"
In „Wandsbeck“ hat er eine fast lebenslange Heimstätte gefunden: Hier lernt er die 17-jährige Anna Rebecca Behn kennen, eine Gastwirts-Tochter, die kaum gebildet, aber offenbar eine in jeder Hinsicht anziehende Persönlichkeit ist. Claudius tituliert sie, auf ihre Einfachheit und Natürlichkeit anspielend, als „sein Bauernmädchen“. „Aber lieb hab ich sie darum nicht weniger“, schreibt er an Herder. 1772 heiratet er sie.
Es ist eine große und dauerhafte Liebe. Anders als Goethe, der seine nicht standesgemäße Frau jahrelang versteckt, schreibt Claudius Gedichte über sie. Fast alle Gäste im Hause preisen ihre natürliche und liebenswürdige Art. Das Ehepaar hat elf lebende Kinder.
Trotz häuslichen Glücks: Knappheit und Geldmangel bestimmen viele Jahre. Claudius sucht nach Einnahmequellen. Notgedrungen nimmt er Schüler auf, die er gemeinsam mit den eigenen Kindern unterrichtet. Ab 1788 haben die Geldsorgen ein Ende. Nach einem Bittgesuch an den dänischen Kronprinzen wird er dauerhaft versorgt: Als Bankrevisor in Altona bleibt ihm Zeit genug für seine Schreibarbeit.
Neue „Asmus“-Bände enthalten das Bauernlied („Wir pflügen und wir streuen“) und das Kriegslied („‘s ist Krieg! ‚s ist Krieg! Oh Gottes Engel wehre, Und rede Du darein!“). Ab Teil 4 werden sie zunehmend theologisch-spekulativ. Claudius, der auch Freimaurer war, übersetzt etwa ein Werk des französischen Mystikers Saint-Martin. Etliche Freunde wenden sich ab, auch Herder reagiert befremdet.
„Zweifellos ein Reaktionär“
Claudius‘ anti-aufklärerische Haltung zeigt sich am deutlichsten in seiner vehementen Ablehnung der Französischen Revolution. Er verteidigt die alte feudalistische Ständeordnung bis hin zur Pressezensur, weil er die Obrigkeit von Gott eingesetzt glaubt. Claudius sei „zweifellos ein Reaktionär“, meint der Germanist Reinhard Görisch, weist aber auch auf dessen Sozialkritik: Er habe die Fürsten ermahnt, zum Wohle der Untertanen zu handeln. „Der König sei der beßre Mann, sonst sei der beßre König“, dichtet Claudius. Auch dem „Schwarzen in der Zuckerplantage“ seines Gönners von Schimmelmann widmete er ein empathisches Lied. Der „Narr“ (Goethe) darf auch den Herrscher kritisieren.
Der Tod, der sanfte „Freund Hain“, hat Claudius ein Leben lang beschäftigt. Sein Bruder starb jung, ebenso seine geliebte Tochter Christiane. Selbst alt und krank, hofft er noch zu Lebzeiten, Gott zu schauen, wie Enkelin Agnes Perthes berichtet. Das passiert nicht. Er starb wohl mit den nicht mehr vollendeten letzten Worten: „Helft mir Gottes Güte preisen - Gott seg(ne Euch).“