Neustart als Vikarin: "Lebenslanges Lernen ist mein Motto"
24. März 2021
Wie ist es in der Mitte des Lebens noch einmal den Beruf zu wechseln? Anne-Rose Wergin weiß es. Sie gab eine Leitungsposition auf, um als Quereinsteigerin Pastorin zu werden. Seit 1. März ist sie Vikarin mit parallel laufendem Theologiestudium. Ein Porträt über eine Frau mit großem Mut und Wissensdurst.
Es gibt wahrscheinlich nicht viele Mütter, die zusammen mit ihrem Sohn studieren. Nicht nur an der gleichen Uni, sondern zeitgleich und mit dem gleichen Berufsziel. Doch Anne-Rose Wergin gehört zu diesen wenigen: Die 41-Jährige studiert in Greifswald Theologie. Doch während ihr Sohn den Studiengang regulär als Vollzeitstudium durchläuft, absolviert sie ihn berufsbegleitend neben ihrer Arbeit als Vikarin in Pinnow bei Schwerin.
Eine Powerfrau mit großer Lernfreude
"Das hat sich einfach so gefügt", meint Anne-Rose Wergin gutgelaunt. Sie sagt es leichthin. Dass diese Entscheidung aber eine große Portion Coolness erfordert, wird spätestens dann deutlich, als sie mehr zu ihrem bisherigen Werdegang erzählt: Die studierte Religionspädagogin leitete bereits verschiedene Projekte, die sich mit der Rechtsextremismusprävention und Demokratieförderung beschäftigen. 2013 wurde sie dann Studienleiterin für Gemeindepädagogik am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche. Daneben ziehen sie und ihr Mann vier Kinder groß: der älteste ist 19 Jahre alt, der jüngste vier.
Schon diese wenigen Eckdaten verraten: Sie ist eine Powerfrau. Warum also die erreichte Leitungsposition und das dazugehörige Gehalt aufgeben, um als Vikarin mit parallel verlaufendem Theologiestudentin noch einmal neu anzufangen? "Ich bin halt Pädagogin. Lebenslanges Lernen ist mein Motto", sagt sie fröhlich.
Raus aus der 'churchy bubble'
Natürlich habe sie lange überlegt. Zumal sie ihre frühere Aufgabe als ebenso wichtig und sinnvoll empfunden habe, sagt sie. "Ich bilde gerne aus!", erklärt sie. "Aber ich hatte einfach total Lust, das Theologiestudium zu vertiefen – und wieder in der Gemeinde zu arbeiten", verdeutlicht sie.
Vor allem möchte sie nicht nur Kinder- und Jugendliche im Blick haben, wie dies oft bei der pädagogischen Arbeit der Fall ist, sondern alle Zielgruppen. Und noch ein ehrgeiziges Ziel hat sie sich gesetzt: "Ich möchte nicht nur in einer churchy bubble unterwegs sein, sondern auch auf Leute zugehen, sich der Kirche nicht oder nicht mehr zugehörig fühlen", so Anne-Rose Wergin.
Den Kontakt zu den Kirchengemeinden hatte sie nie verloren, schon weil sie die Auszubildenden im Bereich Gemeindepädagogik auch vor Ort betreute. Und als sie davon hörte, dass die Nordkirche nun auch kirchlichen Mitarbeitern den Weg ins Pfarramt über einen Quereinstieg ermöglicht, sei sie ins Grübeln gekommen.
Die Voraussetzungen, wie etwa ein abgeschlossenes Erststudium und langjährige Berufserfahrung im kirchlichen Kontext, erfüllte sie perfekt. Zudem beschränken sich die obligatorischen Präsenzzeiten des Theologiestudiums in Greifswald auf überschaubare vier Wochen pro Jahr. Eine Vikarsstelle an ihrem Wohnort oder naher Umgebung schien nach Rücksprache mit dem Landeskirchenamt sowie Studien- und Predigerseminar ebenfalls realistisch.
Respekt für mutige Entscheidung
"Mein Mann hat gesagt: Wie viele Gartenzäune sollen dir denn noch um den Kopf fliegen, bevor du ja sagst?", sagt sie rückblickend mit einem Schmunzeln. Also machte sie schließlich Nägel mit Köpfen, kündigte ihre bisherige Stelle und lernte Griechisch für die Aufnahmeprüfung. Seit 1. März ist sie nun nicht nur Studentin, sondern auch Vikarin.
Viele Freunde hätten mit dem Satz "Wow, das erfordert aber Mut!" auf ihre Entscheidung reagiert. "Und ehrlich gesagt, geht es mir auch so", gesteht sie: "Ich fühle mich mutig."
Da helfe es ungemein, dass die Atmosphäre am Predigerseminar und der Universität sehr wertschätzend sei. "Der Zauber des Anfangs ist auch bei den Professoren und Studienleitern zu spüren", sagt sie. "Alle haben das Bedürfnis, dass es gelingt."
Das wichtigste sei aber, dass sie ihre Familie hinter sich wisse. Wie gut, dass auch ihr Sohn genug Coolness mitbringt, um – zumindest wochenweise – den Campus mit seiner Mutter zu teilen.