Pilgern auf dem Birgittaweg in Mecklenburg – ein Erfahrungsbericht
23. August 2024
Die Heilige Birgitta von Schweden pilgerte 1341 von Schweden nach Santiago de Compostela. Ein Teil ihrer Reise führte sie durch das heutige Mecklenburg-Vorpommern. Von den insgesamt 400 km von Sassnitz bis in die Nähe von Hamburg habe ich mir ein ca. 100 km langes Teilstück ausgesucht – und tauche ein in eine Landschaft voll Zauber, Einsamkeit und Oasen.
Unsere Themenseite: Pilgern - Der Weg der Sehnsucht
Der Birgittaweg verläuft in diagonaler Richtung von Nordosten nach Südwesten durch das Bundesland. Meine Wahl fällt auf die Strecke zwischen den kleinen Orten Laage und Brüel, denn ich möchte einerseits mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen, andererseits die großen Städte und touristischen Zentren vermeiden.
Weite Wege und tiefe Wälder
Sehr schnell stellen sich die beiden wesentlichen Charakteristika des Weges heraus: Zum einen weite, gradlinige Wege entlang ausgedehnter Felder, die jetzt in der zweiten Augusthälfte bereits abgeerntet sind.
Mächtige, einzelne Eichen oder Pappelreihen, die einen Wasserlauf anzeigen, spenden zwischendurch Schatten. Ich freue mich besonders an den Spätsommerblumen, die die Wege begleiten: Rainfarn, bunte Kleesorten, Flockenblumen und die leuchtend blaue Wegwarte, die ich spontan zu meiner Lieblingsblume erkläre.
Dazwischen zum anderen immer wieder tiefe Laub- und Nadelwälder. Ich bin froh über die sehr sorgfältigen Wegbeschreibungen in meinem kleinen Pilgerführer und finde daher auch dort, wo kaum noch ein Pfad auszumachen ist, mühelos meinen Weg. Doch in den allermeisten Fällen folge ich, wie auf offenem Gelände, den breiten forst- und landwirtschaftlichen Wegen.
Tier- und Pflanzenwelt erleben
Dabei mache ich immer wieder kleine Pausen, um Vögel zu beobachten: Viele Greifvögel wie Bussarde oder Milane, aber auch die majestätischen Kraniche zeigen sich. Mit lautstarken, hellen Rufen beschweren sie sich über ihre Störung durch mich.
Abseits vom Tourismus
Bereits auf meiner ersten Etappe zwischen Laage und Reinshagen merke ich, dass ich mich abseits der touristischen Gebiete bewege. Nur äußerst selten treffe ich auf Menschen. Selbst die kleinen Dörfer, die von Fachwerkhäusern und bäuerlichen Gärten geprägt sind, scheinen in einen Märchenschlaf verfallen zu sein.
Die kleinen, zauberhaften Kirchen in Laage, Reinshagen oder Recknitz, in Baumgarten, Laase oder Eickelberg werden zu meinen Einkehr-Oasen auf diesen Wegen. Hier findet sich eine Bank zum Ausruhen und auf den umliegenden Friedhöfen ein Wasserhahn mit frischem Trinkwasser.
Kirchen erzählen Geschichten
Die kleinen gotischen Feld- und Backsteinkirchen strahlen viel spirituelle Kraft aus. Viele Jahrhunderte wechselvoller Geschichte sind ihnen abzulesen. Die Geschichten erzählen von mühewollen Bauphasen, von kirchlichem Leben und von prägenden Ereignissen. Auch die Menschen der Gegenwart hinterlassen Spuren, die von einer großen Hingabe für diese Gotteshäuser sprechen.
Nächte im Gemeindehäusern und Pilgerzimmern
Für die Übernachtungen hatte ich schon vorab mit den Kirchengemeinden auf der Strecke Kontakt aufgenommen und um einen Schlafplatz gebeten. Ausgerüstet mit den Handynummern der ehrenamtlichen Pilgerbetreuerinnen, melde ich mein Kommen eine Stunde vorher an. Jedes Mal werde ich mit offenen Armen und großem Interesse aufgenommen.
Entweder wartet ein eigens vorhandenes Pilgerzimmer auf mich, oder ich muss mein Lager in Gemeindesaal aufschlagen. Richtig gemütlich ist das nicht, aber es ist alles vorhanden, was ich nach einer langen Wanderung benötige. Durch die Einträge in den Pilgerbüchern erfahren ich, welchen Menschen in den letzten Wochen hier übernachtet haben – auch über viel Dankbarkeit und Freundlichkeit kann ich hier nachlesen.
Gesegnet unterwegs
Freundlichkeit, gepaart mit Interesse, die ich ebenfalls erlebe: Einen Segen für die Pilgerreise, eine Tüte frisch geerntete Tomaten als Geschenk, ein Abendbrot aus leckeren Salaten, der Hinweis auf die nächste schöne Badestelle am See oder das Aufpassen auf mein Gepäck, während ich die Kirche besichtigen.
Mein kleines Highlight in Güstrow ist der Besuch des Domes. Neben dem „Schwebenden“ von Ernst Barlach hat dieses Gotteshaus noch sehr viel mehr zu entdecken und ich tauche ein wenig in die Mecklenburgische Geschichte ein.
Das gilt auch für den Besuch des Klosters Rühn gleich hinter Bützow. Dort haben sich viele Künstlerinnen und Künstler niedergelassen und ein Verein sorgt dafür, dass es erhalten und mit Leben gefüllt wird. Den Schlüssel für die Kirche kann ich mir im Gasthaus abholen.
Mir fällt es schwer, von diesem Ort wieder aufzubrechen.
Reizvolles Seenland
Ich komme im Naturpark Sternberger See an. Die Wege fangen an, sich durch die Landschaft zu winden, es wir hügeliger und wasserreicher. Das betrifft leider auch das Wetter, so dass ich mir nur vorstellen kann, wie reizvoll die Gegend im Sonnenschein sein muss.
Geerdet sein und Flügel bekommen
Erst im Kloster Tempzin, meinen letzten Übernachtungsort, treffe ich auf einen weiteren Pilger. Dass ich so viel Einsamkeit erlebt habe, verblüfft mich in Nachhinein. Ich habe ein wenig mein Zeitgefühl verloren und die langen Wege haben mich geerdet – ganz viel Gelassenheit stellt sich ein. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass mir Flügel gewachsen sind und ich die Dinge von der Vogelschau aus betrachten kann.
„Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten,“ fällt mir ein, ein Vers aus meinem Lieblingspsalm. Ich hatte meine Tagestouren meist recht früh angetreten, um die ersten frischen Stunden zu nutzen. Jetzt wundere ich mich über meinen Mut, mit dem ich dort durch die Einsamkeit gestapft bin, zuversichtlich, dass sich der Weg schon finden wird.
Er hat sich gefunden, und ziemlich viel Wehmut stellt sich ein, als ich nach meiner letzten Etappe mit einem Abstecher zum Oberlauf der Warnow in einem Café am Roten See bei Brüel meine letzte Pause mache. Vielleicht wird das ja der Startpunkt für meine nächste Pilgerreise.