St. Petri-Dom zu Schleswig - 15. Sonntag nach Trinitatis

Predigt über Galater 5 / 6

16. September 2012 von Gerhard Ulrich

5,25 Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. 5,26 Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. 6,1 Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. 6,2 Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 6,3 Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. 6,7 Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. 6,8 Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. 6,9 Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. 6,10 Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.

Liebe Gemeinde!

I

Die Bibel ist ein Lebensbuch. Das ist wohl der Grund dafür, warum so manche der Sätze, die sich im Buch der Bücher finden, geradezu sprichwörtliche Verbreitung gefunden haben.

Zwei solche Sätze enthält der Abschnitt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Christenmenschen in Galatien in der heutigen Türkei:

Der eine:  „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Meistens kommt er einem in den Sinn, wenn man an einen Menschen denkt oder über ihn spricht, der oder die irgendetwas getan hat, was er oder sie lieber nicht tun sollte. Ein richtender Satz.

Der andere Satz heißt: „Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Es ist bemerkenswert, dass dieser Vers des Apostel Paulus – natürlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen – zu so etwas wie einem klassischen evangelischen Trauspruch geworden ist. Ist doch merkwürdig, dass uns bei der Trauung offensichtlich sogleich die Last einfällt, die damit verbunden sein könnte. Eigentlich wäre statt von erdenschwerem Lastenausgleich zunächst einmal zu reden von der himmelleichten Lust aneinander!

Darum fängt der Text auch anders an: es geht um das Leben im Geist Jesu. Und das ist ein Geist, der erleichtert, statt beschwert; der befreit, statt gefangen hält: „so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst…“

Wir wissen, niemand ist nur eine Last; niemand fällt nur zur Last; niemand belastet nur. Und niemand ist nur leicht und locker.

Nur einer durchbricht das Prinzip – Jesus selber. Der trägt. Damit wir frei sind von Lasten des Gewissens. Von Hochleistungsansprüchen. Von Selbstüberhebung.

Martin Luther nennt diese Beziehung Jesu zu uns den „fröhlichen Wechsel“. Schon in der Formulierung klingt nicht die Erdenschwere, sondern die Himmelsleichte an. So ist der Hinweis des Paulus gemeint: das Gute, das wir einander tun wie das Schwere, das wir einander zumuten, ist ein Wechsel – mal tragen, mal abgeben.

Darauf läuft sie hinaus, die gesamte Argumentation des Paulus in seinem Brief an die Galater. Es geht ihm zentral um die Leichtigkeit des Christ-Seins, die darin ihren Grund hat, dass es der gestorbene und auferstandene Christus selbst ist, der als Herr und Heiland für die Seinen lebt und da ist. Bis in den Tod. Und darüber hinaus wieder ins Leben. Das ist nicht zu fassen – nur zu glauben. Der, der in den Tod geht und aufersteht, der will uns nicht zur Last fallen oder eine neue Last aufbürden. Der will sagen: damit du frei sein kannst von den Lasten, die die Welt kennt, nehme ich auf mich, was auf dir lastet. Genau so, wie es das biblische Wort für diese Woche sagt: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Am Anfang also nicht: „Tragt die Last“, sondern: „er sorgt für euch“. Wir sollen, liebe Schwestern und Brüder, diese Einladung zur Sorglosigkeit ruhig einmal ganz vorbehaltlos gelten lassen und schlicht – ja genießen! Die Leichtigkeit des Christ-Seins zeigt sich dann darin, dass ich mich frei mache von der Last, mein eigenes Leben selbst retten zu müssen. Und darum, nach weggeworfener Sorge, habe ich Kräfte frei. Weil ich weiß: ich bin getragen – kann ich tragen!

Die bewegte Geschichte der Menschen in Galatien kannte die gegenseitige Fürsorge als soziale Pflicht. Die Glaubenden in der Landschaft Galatien hatten zwar den Glauben an Christus den Herrn angenommen, aber noch nicht abgelegt die Regentschaft des Gesetzes. Sie hatten sie übertragen nun auf den Christusglauben. Heraus kommt ein Hochleistungsprinzip der guten Werke! Wenn Paulus davon spricht, dass allein die Gnade frei macht, trifft er die frommen Workaholics der Gemeinde auf dem falschen Fuß an. Er sieht so etwas wie das Sammeln von religiösen Fleißbildchen. Paulus weiß: so ein Prinzip von Leistung und Perfektion schützt und stützt. Es gibt Sicherheit – denn, was man getan hat, sieht man!

Was aber der Geist Christi bringt, ist die Freiheit vom Prinzip der Leistung. „Zur Freiheit hat euch Christus befreit“, sagt Paulus im Spitzensatz des Galaterbriefes. Und Freiheit, die Paulus meint, ist immer befreite Freiheit, geschenkte. Niemand befreit sich selbst durch gute Werke. Burnout-Syndrome bei uns zeigen, wie gefangen wir sind, wenn wir Freiheit selber herzustellen versuchen durch Leistung. Martin Luther sagt: „Nicht die guten Früchte machen den guten Baum, sondern der gute Baum trägt gute Früchte!“

II

Also: nichts gegen die guten Werke. Aber es ist entscheidend, aus welchem Geist sie wachsen – ob sie aus dem Glück der geschenkten Freiheit wachsen. Glücksbringer sein, das, liebe Schwestern und Brüder, tun wir mit allen, die in der Christenheit vor uns waren und mit denen, die mit uns unterwegs sind in der weltweiten Ökumene. Vor uns – ganz am Anfang, waren auch der Apostel Paulus und seine Missionskollegen, damals um das Jahr 50 nach Christus, unterwegs – in Kleinasien und in Griechenland. O ja, das reiche arme Griechenland – schon damals „Finanzkrise“. „Lasten“ – ohne Ende! Ich vermute, das Wort „Rettungsschirm“ war noch nicht erfunden – aber der Ruf nach gerechter Verteilung des Geldes, nach gerechten Lebensverhältnissen für alle – dieser Ruf, der war auch damals in Griechenland natürlich schon längst laut geworden. Und auch innerhalb der christlichen Gemeinden – völlig zu recht, kann man nur sagen. Das Werk im Glauben, die Arbeit in der Liebe und die Geduld in der Hoffnung – diese drei, sie sollen unverzichtbar zusammen gehören und in einen guten Ausgleich miteinander gebracht werden. Das will der Apostel von seinen Gemeinden. Denn Paulus weiß: Was da getan wird unter den Christen, was wir da tun unter uns Schwestern und Brüdern, das merken die Leute drum herum; das kriegen mit die Menschen, die eher am Rande stehen und genau registrieren, wie es da so zugeht bei den Christen mit Glaube und Liebe und Hoffnung. Die Leute merken und sehen, in welchem Geist wir unterwegs sind. Im Geist des Neides und des Ehrgeizes; der Konkurrenz – oder im Geist der Liebe. Und der Apostel scheut sich nicht, zu schreiben von Vorbild und Beispiel.

Lasst uns Gutes tun an jedermann! – so schreibt er. Gut und richtig natürlich – ohne Abstriche. Und dennoch und darüber hinaus – der Apostel schreibt eben auch von dem Gebet, von der Fürbitte ohne Unterlass, mit der wir einander stärken in Glaube, Liebe und Hoffnung. Ja, der Apostel geht sogar so weit zu behaupten, dass im Gebet füreinander lebendig werden immer wieder neu die Kraft und der Heilige Geist und die große Gewissheit der Gottesfreunde, die zusammen auf dem Weg sind. Wer hätte das gedacht, liebe Schwestern und Brüder, das Gebet als der göttliche Rettungsschirm, der ausgespannt ist über allem menschlichen Tun. Das Gebet, die Fürbitte als lebendige Quelle der Solidarität! Aus dieser Schutz-Zone soll nichts und niemand herausfallen! Ja, beten macht frei – weil wir im Gebet für den anderen eben nicht mehr nur fixiert sind auf die Last, die der andere für mich ist. Beten macht frei – zu sehen den Reichtum, den der andere hat. Das Gebet sprengt nun einmal alle Kosten-Nutzen-Kalkulationen!

III

Im Geiste Gottes leben – und im Geiste Gottes wandeln, darum geht es, schreibt der Apostel: Es bildet sich aus eine Kirche in der Kraft des Geistes.

Als einen wichtigen Teil dieser geistkräftigen Kirche verstehe ich auch den Johanniterorden und Sie als Ordensbrüder, die Sie heute hier in Schleswig zu Gast sind zu einem „Einkehrtag“ hier im Dom und anschließend im Johanneskloster. Gehören Sie doch zu einem geistlichen Ritterorden, der sich mit langer Tradition den karitativen und diakonischen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft zuwendet: Geistkräftiges Tun, das folgt aus geistbewegtem Hören auf Gottes Wort. Und dieses Wort fasst sich ja zusammen, wie Jesus sagt, in dem Doppelgebot der Liebe: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst – darin sind alle Gebote zusammengefasst. Wer Gott liebt und in ihm bleibt; wer sich des Grundes versichert, auf dem er steht und sich bewegt; wer sich treffen lässt von dem Geist, der immer wieder zurecht bringt die Starken und die Schwachen: der wird bewegt hin zum Tun der Liebe, der antwortet mit seiner Liebe auf die Liebe Gottes. So ist es bei den Johannitern seit mehr als 900 Jahren. Und das ist ja das Überzeugende: der Grund ist derselbe, der gelegt ist: Jesus Christus. Und darauf entwickelt sich der Dienst der Liebe, das Diakonat höchst modern und in der Zeit. Beharren, bestehen auf dem, was immer schon trägt und hält – die Orientierung an den Werten der Väter und Mütter des Glaubens steht nicht im Widerspruch zur Aufgeschlossenheit für das, was heute diese Liebe zum Nächsten an Strukturen verlangt! So sind Sie mit all Ihrem Tun ein unverzichtbarer Teil unsere Kirche. Der Christenmensch ist ein freier Herr und niemand untertan; der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan, sagt Martin Luther! Beides gilt: frei, weil wir uns binden an das Wort Gottes; dienstbar, weil wir mit Liebe antworten auf Gottes Liebe zu uns.

Denn: es kommt auf uns an, auf die Gemeinschaft der Heiligen. Die Welt hat ein Anspruch darauf, von Gott zu hören; sie hat einen Anspruch darauf, zu erfahren immer wieder, dass die Welt nicht aufgeht in dem, was wir sehen, verstehen, erklären und machen können. Da ist einer, der ist höher als meine Vernunft!

Darum kommt es auf uns an: wie wir reden, wie wir handeln. Auf Wahrhaftigkeit und pfingstliche Klarheit kommt es an. So werden wir gebraucht. Denn diese Gesellschaft, diese Welt ist nur so stark, wie die Starken sich stark machen für die Schwachen, Verfolgten, Geschundenen. Und das tun die Johanniter seit mehr als 900 Jahren: sich stark machen für die Schwachen. Auf uralter Grundlage, nach uralter Regel – mit modernstem Know-How! Gebunden – und darum frei!

IV

Zur Leichtigkeit des Christ-Sein, liebe Gemeinde gehört auch, darauf zu vertrauen, dass das Tun des Guten nicht immer einer spektakulären Inszenierung bedarf. Das Gute geschieht – zum Glück oft beiläufig, überraschend und entlastend. Ich denke an den wunderbaren Film „Ziemlich beste Freunde“ (Frankreich 2011), der völlig überraschend zu einem Publikumsrenner wurde: Der arbeitslose und frisch aus dem Knast entlassene dunkelhäutige Driss bewirbt sich pro forma als Pfleger bei dem nach einem Absturz beim Gleitschirmfliegen querschnittsgelähmten reichen Geschäftsmann Philippe. Driss braucht den Stempel als Nachweis bei der Arbeitslosenversicherung, dass er sich um einen Job ernsthaft bemüht. Gegen jede Vernunft engagiert der reiche Aristokrat ausgerechnet ihn, weil er es leid ist, dass alle möglichen Leute ihm ständig mit Mitleid begegnen, ohne seine Last wirklich mit zu tragen. Philippe hat es satt, auf seine Behinderung, seine Last reduziert zu werden. Er sehnt sich stattdessen nach Lebenslust und Leichtigkeit. Statt mit dem behindertengerechten Kastenwagen rasen beide mit dem Maserati durch Paris – machen das, was ihnen Spaß macht und entdecken, wie schön das Leben ist auch mit Handikap. Beide respektieren einander, haben den Mut, auch Wut und Enttäuschung zu durchleben – und Philippe gewinnt neue Kraft für ein Leben voller Energie. Es begegnen sich zwei Welten, und aus dieser Begegnung wachsen nach und nach Lebensfreude und eine bewegende Freundschaft zwischen zwei vollkommen gegensätzlichen Männern. Ihr Leben gewinnt ungeahnte Vitalität. Lasten tragen kann eben auch sein: Lust teilen! Und frei sein trotz aller Sorge für die Schönheit und Vielfalt des Lebens, das Gott schenkt.

Leben in der Kraft des Geistes – ganz unspektakulär. Dazu sind wir befreit.

„Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“

Amen.

Datum
16.09.2012
Quelle
Stabsstelle Presse und Kommunikation
Von
Gerhard Ulrich
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