Rede zur „Seebrücke” von Bischöfin Kirsten Fehrs
02. September 2018
Mehr als 10.000 Menschen demonstrierten am Sonntag in Hamburg für mehr Mitmenschlichkeit bei der Rettung aus Seenot. Sie forderten einen „sicheren Hafen Hamburg” für Menschen, die im Mittelmeer gerettet werden. Zum Auftakt der Demonstration „Seebrücke” sprach Kirsten Fehrs. Lesen Sie hier die Rede der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck im Wortlaut.
„Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Hamburgerinnen und Hamburger!
Wie gut, dass Sie, dass Ihr hierher gekommen seid!
Denn wir dürfen nicht unwidersprochen hinnehmen, wenn Menschenwürde verletzt wird, wie jetzt zum Beispiel in Chemnitz. Wir dürfen nicht dulden, dass man Flüchtlinge auf See ertrinken lässt und auch nicht, dass sie angepöbelt und zusammengeschlagen werden!
Höchste Zeit, dass wir aufstehen. Keine Seenotrettung – wo leben wir denn??
Nicht weit von hier, auf dem Weg zum Fischmarkt, steht ein Denkmal: Die Madonna der Seefahrt. Jedes Jahr gedenken wir dort der ertrunkenen Seeleute. Ein fester Termin im Jahreskreis einer Hafenstadt.
Wo, wenn nicht hier, wissen wir um die Gefahren des Meeres? Seeleute können eine Menge erzählen von Unwettern und havarierten Schiffen, von Angst und vom „nassen Tod“. Und jeder weiß, dass ihnen geradezu in die DNA eingeschrieben ist: Seenotrettung first. Wer hilflos in den Wellen treibt, wird gerettet, Punktum.
Man nennt das ja traditionell „christliche Seefahrt“: Meint, dass bei aller Rauheit und Knochenarbeit, ja Ausbeutung seit jeher bestimmte Grundwerte gelten: Ein Menschenleben nicht einfach weggeworfen werden. Es ist ein absolutes Tabu für jeden Seemann, achtlos an Schiffbrüchigen vorbeizufahren.
Doch nun erleben wir, wie Seeleute geradezu gedrängt werden, dieses Tabu zu brechen. Wir wissen alle, was derzeit in Italien und in Malta los ist. Da werden Notrufe nicht angemessen weitergeben. Da dürfen vollbesetzte Rettungsschiffe über Tage, ja Wochen nicht anlegen. Kapitäne werden als Menschenschmuggler verunglimpft, wenn sie Flüchtlinge an Bord nehmen. Die Idee dahinter ist wohl: „Wenn Flüchtlinge nicht gerettet werden, kommen auch keine mehr.“ Was für ein tödlicher Irrtum!
Ich habe vor kurzem Hamburger Reeder gefragt, wie sie dazu stehen. Sie sehen das genauso! Keine Seenotrettung – das ist ein No go! Auf dem Mittelmeer, sagen sie, spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab, und also brauchen wir Rettungsmissionen - je mehr, desto besser. Schiffe brauchen wir, die dafür geeignet sind, mit ausgebildeten Helfern und niedrigen Bordwänden. Und nötig sind Rechtssicherheit und eine politische Lösung!
Denn das ist ja die eigentliche Frage: wie kommen endlich alle europäischen Länder ihrer Verantwortung nach und nehmen Flüchtlinge auf? Klar ist, dass das nicht einfach zu lösen ist. Aber klar ist auch: es gelingt ganz bestimmt nicht, wenn jedes Land sagt: Hauptsache ich nicht! Denn das setzt eine todbringende Spirale in Gang. Wenn immer weniger Länder bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn am Ende jeder rettende Hafen versperrt ist – was dann? Will man die Menschen jämmerlich ersaufen lassen?
Also: wir müssen ausbrechen aus dieser „Hauptsache ich nicht“- Stimmung ! Und deshalb ist es so wichtig, dass wir in Deutschland und hier in Hamburg ein Zeichen setzen für die Menschlichkeit – damit unser Denken und Handeln nicht allein bestimmt wird von den Begriffen abschotten und zusperren. Und damit wir konkret Leben retten - denn das ist es was zählt, auf See wie an Land. Dafür stehen wir heute hier!”