Schreiben statt Schweigen: Jugendpfarramt hilft per Chat
04. Februar 2021
Der Weg zur Chatberatung des Landesjugendpfarramtes führt über das Handy. "Niemand da, mit dem du reden kannst? Wenn du jemanden zum Reden brauchst, egal bei welchem Problem, du kannst dich an uns bei der Chatberatung wenden", heißt es auf der Internetseite des Jugendpfarramtes der Nordkirche.
Nach den wichtigsten Hinweisen über Anonymität und vertraulichen Umgang kann der Chat bereits losgehen. Am anderen Ende wartet ein Gesprächspartner oder eine Gesprächspartnerin aus einem Pool von 15 ehrenamtlichen Seelsorgern und Seelsorgerinnen, die allesamt über Vorerfahrung verfügen und durch eine Zusatzausbildung gut auf diese Aufgabe vorbereitet wurden.
Drei Mal in der Woche zwischen 18 und 20 Uhr sind die Chats für Gespräche freigeschaltet, jedes Gespräch dauert bis zu 45 Minuten. "So kommen wir auf zehn bis zwölf Chats in der Woche, drei bis fünf pro Abend", berichtet Landesjugendpfarrerin Annika Woydack.
Die Pastorin leitet das Team des Jugendpfarramtes in der Nordkirche. Die Chatberatung wurde von ihr, Dr. Katrin Meuche (Referentin für Ev. Schüler*innenarbeit und für Schul- und Jugendseelsorge im Jugendpfarramt) und Torben Lew Krakow (Ehrenamtlicher und Multimediaproducer & Informatiker) ins Leben gerufen, als vor etwa einem Jahr der Corona-Lockdown für viele Jugendliche einen harten Einschnitt ins Leben mit sich brachte.
Durch Corona: Jugendliche leiden häufiger unter Depressionen
Die Idee dazu hatte sie allerdings schon früher, weil sie bemerkt hatte, dass es in diesem Bereich eine Angebotslücke für die Jugendlichen gab. Mit Corona nahm ihre Idee dann Fahrt auf. "Für die Jugendlichen geht in dieser Zeit vieles verloren", weiß Annika Woydack. "Sie können sich nicht in ihrer Peergroup treffen, verlieren ihre Kontakte, haben bei Ausbildungs- oder Studiumsbeginn keine Gelegenheit, neue Freunde zu finden. Deshalb nehmen Depressivität und Suizidalität bei Jugendlichen zu".
Um das Angebot der Chatberatung bekannt zu machen, galt es, effektive Werbestrategien zu verfolgen. "Jugendliche zu erreichen, die zudem nicht unbedingt mit der Kirche zu tun haben, war keine ganz leichte Aufgabe. Wir haben sogar Video-Werbung über die sozialen Medien gebucht", berichtet Pastorin Woydack. "Tatsächlich haben wir dadurch einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und sind auch weiterhin jedes Mal, wenn wir werben, zu 100 Prozent ausgelastet." Daneben wird das Werbematerial der Chatberatung über Schulseelsorger- und Seelsorgerinnen oder Kirchenkreise verbreitet.
Es geht um Ängste, Überforderung und Selbstwertgefühl
"Wir sind für dich da, mit uns kannst du reden, denken und weinen. Wir können mit dir überlegen, wie es weitergehen kann. Schreib uns, was dich bedrückt". Mit diesen Worten zeigt sich der Chat bewusst offen für jede Art von Sorgen.
"Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Jugendlichen sehr schnell und direkt in ihr Thema einsteigen – anders als im Live-Gespräch oder am Telefon. Es geht ganz oft um Ängste, Überforderung und Selbstwertgefühl, aber auch um Sexualität oder Probleme in der Schule oder bei der Ausbildung. Das sind die Themen dieser Generation, die jetzt allerdings durch die Corona-Krise noch einmal verstärkt werden", vermutet die Pastorin.
Hilfe bei Liebeskummer, Mobbing oder Leistungsdruck
Die ehrenamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger wissen, wie sie mit den Sorgen der Ratsuchenden umgehen können, ob es sich um Liebeskummer, Mobbing oder Leistungsdruck handelt. Zusätzlich liegt immer ein umfangreicher Beratungsführer dabei, um auf andere Hilfeeinrichtungen zu verweisen.
Ein Chat, in dem eine Suizidgefährdung im Raum steht, gehört zu den stärksten Belastungen der Seelsorgenden. Für die eigene Seelenhygiene stehen sie daher vor und nach den Chatstunden mit dem Team im Kontakt. Zusätzlich finden regelmäßig Gruppensupervisionen statt. Doch auch die häufig geäußerten positiven Rückmeldungen der Ratsuchenden am Ende des Chats sind für die Beratenden wichtig.
Anonymität beider Seiten wird gewahrt
Nicht nur die Ratsuchenden, auch die Seelsorgerinnen und Seelsorger bleiben in der Anonymität, zudem wird jeder Chat im Anschluss gelöscht. Abgefragt wird nur das Alter der Ratsuchenden, und manchmal ist aus den Gesprächen abzuleiten, dass der oder die Chatteilnehmende bereits zum zweiten Mal den Kontakt sucht.
Bisher kommen die Ratsuchenden überwiegend aus der Altersgruppe der 18- bis 22-jährigen. "Wir würden auch gerne die Teenies erreichen, die Jugendlichen ab 13 Jahren“", wünscht sich die Jugendpfarrerin. "Vielleicht kommen wir da noch hin, denn die Chatberatung ist kein befristetes Projekt. Auch nach Corona soll es weiterhin laufen."