Sterbe- und Trauerbegleitung: "Zeit haben und offen sein"
16. November 2020
In Deutschland gibt es mehr als 120.000 haupt- und ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiter. Sie kümmern sich um diejenigen, die bald sterben werden – und um diejenigen, die zurückbleiben. Organisiert sind sie in fast 1500 ambulanten Hospizdiensten. Beispielhaft haben wir den Ambulanten Hospizdienst in Schleswig besucht und uns über die dort geleistete Arbeit informiert.
Kontakt:
Ambulanter Hospizdienst
Kirchenkreis Schleswig-Flensburg
Flensburger Str. 36
24837 Schleswig
Tel.: 04621 3055600
E-Mail: hospizdienst.sl@kirche-slfl.dewww.hospizdienst–schleswig.de
Zuhören und entlasten, Sicherheit geben und Hilflosigkeit nehmen – das sind die Wünsche und Erwartungen, denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ambulanten Hospizdienstes in Schleswig immer wieder begegnen. Im Gegensatz zu vielen Menschen, die die Themen Tod, Sterben und Trauer möglichst aus ihrem Leben verbannen möchten, gehen sie freiwillig und mit großer Hingabe damit um. Denn irgendwann kommen die Themen auf jeden von uns zu, angemeldet oder unangemeldet, mit Wucht oder ganz leise, durch Krankheit, Schicksal oder Alter.
Sterbe- und Trauerbegleiterinnen wie Wiebke Nicolaisen und Heidi Knoch-Santen haben sich zur Aufgabe gemacht, den Betroffenen in diesen Situationen beizustehen.
Arbeit mit Sterbenden und Trauernden
Die Räume des Hospizdienstes finden sich in einer schönen Gründerzeitvilla, sie sind mit alten Möbeln und modernen Elementen schlicht und stilvoll eingerichtet und strahlen Ruhe aus. Hier organisiert die Leiterin des Hospizdienstes, Lisa Rother, gemeinsam mit der Koordinatorin Anja Tewes den Einsatz der Ehrenamtlichen, leitet und terminiert Ausbildungen und Schulungen, Treffen und Gespräche.
Das Sterben findet woanders statt, zuhause, im Krankenhaus oder im Hospiz. Diejenigen, die hierher kommen, sind neben den Sterbebegleitern die Menschen, die mit dem Tod eines geliebten Menschen weiterleben müssen, die Trauernden. Auch für diese Menschen ist der Hospizdienst da, mit Einzelgesprächen und Gruppenarbeit, für Menschen jeden Alters, darunter auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.
Rituale helfen
Für Wiebke Nicolaisen und Heidi Knoch-Santen sind die Räumlichkeiten in der alten Villa außerdem der Ort, an dem sie über ihre Arbeit sprechen können, Belastendes loswerden und sich in Supervisionen selbst reflektieren können. "Wir haben außerdem kleine eigene Rituale, die uns helfen, mit schweren Situationen umzugehen", erzählt Wiebke Nicolaisen. Sie hat bereits sieben Sterbende begleitet. "Im Freundeskreis und selbst in der Familie gibt es immer wieder Unverständnis für meine Aufgabe. Doch man bekommt immer etwas zurück: Vertrauen, Offenheit, Freude. Deshalb ist diese Arbeit so bereichernd."
Die Chemie soll ja stimmen
Wiebke Nicolaisen gehört zum überwiegend weiblichen Pool der insgesamt 63 Ehrenamtlichen. Alle durchlaufen einen Befähigungskurs von 100 Stunden einschließlich eines praktischen Teils. Erst dann übernehmen sie den Auftrag, einen sterbenden Menschen zu begleiten. "Auch wenn die Angehörigen uns bitten muss der betroffene Mensch immer einverstanden sein. Wen wir schicken, darüber machen wir uns vorher Gedanken, denn die Chemie soll ja stimmen. Vielleicht sind es gemeinsame Interessen, ähnliche Lebenssituationen oder vielleicht spricht jemand gerne Platt. Der Besuch findet gewöhnlich einmal in der Woche statt, wobei die Dauer sehr unterschiedlich sein kann", erläutert Lisa Rother.
Ohne Wertung zuhören
"Ich erlebe oft, dass die Sterbenden nach zwei, drei Besuchen beginnen sich zu öffnen", erinnert sich Wiebke Nicolaisen. "Dann fangen sie an zu erzählen. Deshalb ist es das Wichtigste, einfach Zeit zu haben und offen zu sein. Manchmal sind es sehr belastende Erinnerungen und Geschichten, die sie loswerden möchten. Wir sind dann wie ein unbeschriebenes Blatt, weil wir ohne Vorgeschichte und ohne Wertung zuhören. Und manchmal möchten der sterbende Mensch auch nicht, dass die Angehörigen diese Dinge erfahren".
"Wir als Koordinatorinnen, Sterbebegleiterinnen und-begleiter kommen als neutrale Person in die Familie. Wir können manches besser aushalten als die Angehörigen selbst. Und wir sind auch mitunter Brückenbauer, indem wir es ermöglichen, Dinge, die zwischen den Angehörigen und dem Sterbenden unausgesprochen im Raum stehen, zur Sprache zu bringen – wenn es gewollt ist", ergänzt Anja Tewes.
Die meisten Menschen sterben alleine
Das Sterben ist für viele Angehörige mit großen Ängsten verbunden. "Die meisten sterben allein, in einem Moment, in dem gerade kein Mensch bei ihnen ist. Es fällt einigen sehr schwer, das zu akzeptieren", weiß Lisa Rother aus Erfahrung.
Räume für die Trauer
Mit einer zusätzlichen zweijährigen Schulung hat sich Heidi Knoch-Santen zur Trauerbegleiterin weiterbilden lassen. Die Schicksale der Menschen, die ihre Unterstützung suchen, sind sehr unterschiedlich.
Für die trauernden Menschen bietet der Hospizdienst neben den festen Gruppenstunden eine kleine Bibliothek und einen hellen Wintergarten an. Regelmäßig findet das Lichtblick-Café statt, und auch der Garten wird für Gesprächsrunden gerne genutzt. Für die Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen gibt es im Hospizdienst einen farbenfroh gestalten Raum mit Spielzeug und Bildern. "Besonders Kinder können sich nicht unbedingt sprachlich ausdrücken. Dann können sie beispielsweise mit Legofiguren nachspielen, was sie erlebt haben und wie sie es sich anders gewünscht hätten", erzählt Heidi Knoch-Santen.
Über den Verlust sprechen dürfen
"Trauer macht einsam", hat sie erfahren, weil Freunde und Bekannte nicht mit der Trauer umgehen können und sich abwenden. Oder der Betroffene sich nicht mehr traut, über seinen Verlust zu reden. "Hier dürfen sie so oft und so lange sie möchten darüber sprechen. Und dann beginnen wir langsam und vorsichtig, zu schauen, wie der Trauernde seine Perspektive wechseln oder seine Ressourcen ausmachen könnte. Trauerarbeit ist hart, denn es ist beängstigend und anstrengend, auf das Gewesene zurückzuschauen. Deshalb halten manche lieber an der Trauer fest", erzählt Heidi Knoch-Santen.
Eine Aufgabe, die sie ebenfalls übernimmt, ist die Trauerbegleitung in Schulen oder ähnlichen Einrichtungen, wenn die Lehrkräfte das Thema im Unterricht aufgreifen möchten, aber auch, wenn es dort einen Todesfall gab.
Letzte Hilfe
Der Hospizdienst bietet zusätzlich "Letzte Hilfe"-Kurse an. Es geht darum, Menschen Informationen zu vermitteln, mit denen sie einer Sterbesituation im Umfeld ohne Ängste begegnen können und wissen, was dem Sterbenden gut tut oder was beim Sterben im Körper passiert.
Der Glaube gehört dazu
Wie in vielen Fällen befindet sich auch der Schleswiger Hospizdienst in kirchlicher Trägerschaft, zuständigkeitshalber sozusagen. Im Sterben und Trauern ist Gottes Halt gefragt, doch die Arbeit des Hospizdienstes ist überkonfessionell angelegt. "Wir gestalten einmal im Jahr unseren Gedenkgottesdienst, und unsere frisch ausgebildeten Sterbebegleiterinnen werden im Rahmen eines Gottesdienstes eingeführt. Doch wir fragen niemanden, der zu uns kommt, nach seiner Konfession", erläutert Lisa Rother. "Der Glaube gehört dazu – dort, wo es gewünscht ist".
Zukünftig wird ein weiterer Bereich vom Hospizdienst betreut werden: Das neue Hospiz in Schleswig, das Petri-Haus, dessen Eröffnung kurz bevorsteht. Das Aufgabenfeld der Ehrenamtlichen wird dadurch noch breiter und vielfältiger, denn neben der Sterbebegleitung werden sie sich beispielsweise auch bei der Gartenarbeit oder für Kreativangebote engagieren können.