Sternenkinder-Bestattung: Ein langer Kampf für die Würde des Kindes
13. April 2021
Wenn ein Kind stirbt, bedeutet dies einen unglaublichen Verlust für die Eltern. Auch dann, wenn das Kind noch vor seinem ersten Atemzug verstirbt. Heute gibt es für solche "Sternenkinder" auf vielen Friedhöfen Beisetzungs- und Trauerorte. Doch bis dahin war es ein langer Weg.
Rund 30 Jahre ist es her, dass Elke Heinen als Leiterin der Evangelischen Familien-Bildungsstätte Schleswig eine Gruppe für Eltern gründete, deren Kind im Mutterleib gestorben war. Für solche Sternenkinder gab es bis dahin kein zeremonielles Begräbnis und für die Familie keinen Ort zum Trauern. Seitdem hat sich vieles getan: In Schleswig-Holstein gibt es mittlerweile mehr als 70 evangelische und kommunale Friedhöfe, die Ruhestätten für Sternenkinder haben.
Der Verein "Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister Schleswig-Holstein" (VESH), der aus Heinens Elterngruppe entstanden ist, ist mittlerweile zum Landesverband angewachsen. Kurz vor Heines Ruhestand hat der VESH eine Homepage mit Friedhofsregister und einem Leitfaden für Eltern herausgebracht, die damit konfrontiert sind, dass ihr Kind noch vor dem ersten Atemzug verstorben ist. Parallel dazu ist eine Broschüre entstanden, die auf den langen Kampf eingeht, den Eltern austragen mussten, um ihr Kind bestatten zu dürfen.
Unfassbares Leid durch unmenschlichen Umgang
Nordkirche.de: Frau Heinen, ich muss sagen, dass ich beim Lesen Ihrer Broschüre schockiert war, wie mit Stillgeburten noch vor wenigen Jahren umgegangen worden ist. Mir war nicht bewusst, dass die sterblichen Überreste bis weit in die 90er Jahre als Klinikmüll entsorgt oder anonym ohne Wissen der Eltern fremden Gräbern beigelegt wurden.
Seit Mai 2013 können Eltern ihre Sternenkinder unabhängig vom Gewicht standesamtlich beurkunden lassen – und ihnen damit offiziell einen Namen geben und eine Bestattung ermöglichen. Zur Gesetzesänderung.
Elke Heinen: Ja. Gerade wer selber Kinder hat, kann das nicht fassen. Und doch war dies bis zu einer ARD-Sendung, die diese Zustände öffentlich gemacht hat, gängige Praxis. Und leider ist die Gesetzgebung in einigen Bundesländern bis heute so: In Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern müssen Totgeburten erst ab einem Gewicht von 1000 Gramm bestattet werden, darunter können sie mit dem Klinikabfall entsorgt werden. In Schleswig-Holstein liegt die Grenze bei 500 Gramm.
Aber: Eltern haben heute ein Recht auf Bestattung ihrer Kinder – das gilt auch schon für Kleinere, die unter dieser Gewichtsgrenze liegen. Und das ist ein wesentlicher Fortschritt, den Elterninitiativen wie die VESH erzielt haben.
Nur müssen sie das Recht auf ein individuelles Begräbnis dann aktiv einfordern, oder?
Es ist so, dass die Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein den Ärzten und Hebammen in ihren Kliniken nahelegt, Eltern über diese Möglichkeit zu informieren. Viele Kliniken bieten in Zusammenarbeit mit den Krankenhausseelsorgern und -seelsorgerinnen mehrmals jährlich Gemeinschaftsbeisetzungen an. Das bedeutet, dass die Kinder gemeinsam in einem Sarg oder Urne auf einer Grabstätte für Sternenkinder beigesetzt werden. Das ist dann für die Eltern kostenfrei. Wer jedoch für sein nicht bestattungspflichtiges Kind ein eigenes Grab haben möchte, muss selber tätig werden.
Es gibt Kliniken, da werden die Eltern vorbildlich aufgeklärt. Aber es rutschen leider auch Fälle durch. Vieles ist durchs Internet einfacher geworden: Betroffene Eltern fangen in der Regel zuerst im Netz an zu suchen, was sie nun tun können. Deswegen ist mir auch die neue Homepage Sternenkinder-Friedhöfe.de mit dem Leitfaden so wichtig: Bei der Erstellung hatte ich den jungen Vater vor Augen, dessen Frau noch im Krankenhaus liegt, und der jetzt eine Beerdigung organisieren möchte und schnell Hilfe braucht. Denn die Organisation müssen die betroffenen Eltern selbst in die Hand nehmen.
Individuelle Beisetzung mit ästhetischem Sarg
Im Leitfaden geht es also nicht nur um den richtigen Ort, sondern auch das "Wie": Angefangen von der Abholung des Kindes über die richtigen Formulare und die standesamtliche Namensurkunde bis hin zur Auswahl des Sarges. Letzteres ist auch ein besonders Projekt Ihres Vereins. Wie kam das zustande?
Schon bei den ersten Beisetzungen im Jahr 2004 stand ich mit den Krankenhausseelsorgern fassungslos vor den Kindersärgen, die kaum mehr als eine Pappschachtel waren. Da haben wir gesagt: Das geht so nicht. Wir wollen etwas Würdevolles. Und da es nichts auf dem Markt gab, haben wir zusammen mit der Berufsschule in Schleswig ein Projekt ins Rollen gebracht: Die angehenden Tischler und Tischlerinnen haben Mini-Särge gebaut. Die Lehrer haben zwar gemauert, aber die Schüler waren begeistert.
Die fertigen Mini-Särge haben wir dann bei der Landesgartenschau in Schleswig 2008 im Schleswiger Dom ausgestellt. Dazu haben wir bunte Schmetterlinge aus Papier gelegt, auf die jeder Besucher etwas schreiben konnte, etwa den Namen des Kindes, das derjenige verloren hat. Das Echo hat uns komplett überrollt. Binnen kürzester Zeit waren 800 Schmetterlinge beschriftet – auch von internationalen Besuchern. Plötzlich gab es eine große Nachfrage zu unseren Mini-Särgen.
Wir haben dann die Schleswiger Werkstätten gefragt, ob sie die Produktion übernehmen wollen – und das machen sie bis heute. Wir verkaufen diese Särge knapp über dem Selbstkostenpreis über einen Internet-Shop. Inzwischen gibt es zwar auch viele andere Hersteller. Aber soweit ich weiß, sind wir immer noch die einzige Elterninitiative, die Mini-Särge nicht-kommerziell anbietet.
Trost spenden ist zentrales Anliegen
Was aber, wenn Eltern schon vor längerer Zeit ihr Kind verloren haben und es damals nicht bestattet wurde. Können Sie denen auch helfen?
Es kommen oft Frauen zu uns, die sagen: Ich muss mal reden. Manchmal ist es gar keine stille Geburt gewesen, die sie erlebt haben, sondern ein Schwangerschaftsabbruch in jungen Jahren, den sie nie verarbeitet haben. Und auch für diese Frauen ist es wichtig, dass sie einen Ort für ihre Trauer haben. Ich sage dann: Suchen Sie sich einen Platz aus. Man kann dies auch mit einem kleinen Ritual verbinden: einen Stein bemalen, eine Blume ablegen, einen Brief schreiben. Wir haben auch schon kleine Spanschachteln in der Erde vergraben. So kann man seine Liebe, seine Sehnsucht verorten. Unser Anspruch ist immer: Seelsorge zu leisten. Dabei kommt es nicht darauf an, in welchem Jahr, mit welchem Gewicht oder unter welchen Umständen ein Kind gestorben ist. Wichtig ist nur, dass die Eltern Trost finden.
Sie machen mit den Sternenkinder-Friedhöfen Trauer sichtbar. In wie weit hilft das bei der Verarbeitung des Verlusts?
Am zweiten Sonntag im Dezember ist der "Weltgedenktag für verstorbene Kinder", zu dem es verschiedene Gottesdienst-Angebote gibt.
Ein gepflegter Friedhof entwickelt seine eigene Energie: Man bleibt stehen, denkt über die eigenen Erfahrungen nach und fängt vielleicht an, diese in Worte zu fassen. Ich habe es schon erlebt, dass Großmütter sich mit ihren Enkeln oder Urenkeln verbünden und über ihre viel zu lang verdrängte Trauer sprechen. Sie glauben gar nicht, wie viele Mütter nach dem Krieg ihre Kinder auf der Flucht verloren haben und nie beerdigen konnten. Diese Kinder sind teilweise buchstäblich im Eis geblieben. Manche fangen erst jetzt an, die Erfahrung zu teilen. Aber dass sie dies nun tun, ist ein gutes Zeichen, ein Zeichen von Verarbeitung.
Der Verlust ist real
Sie gehen Ende des Monats in den Ruhestand, was ist Ihr Wunsch für die Sternenkinder-Arbeit, die sie ja fast 30 Jahre als Trauerreferentin, Theologin und Familientherapeutin begleitet haben? Oder anders gefragt: Was bleibt noch zu tun?
Die Eltern von Sternenkindern leiden darunter, dass ihre Trauer oft auf Unverständnis stößt. Sie sind Mütter und Väter von Kindern, die für Angehörige, Freunde oder Kollegen unsichtbar geblieben sind. Die Eltern erleben einen realen Verlust über den sie auch sprechen möchten: ihr Kind ist verstorben. Eigentlich ist es wie bei anderen heiklen Lebensthemen auch: Reden hilft auf beiden Seiten. Es baut Verunsicherung ab und bringt die Betroffenen und die Mitmenschen einander näher.