Theresa Brückner: „Ich hab keine Lust, so zu tun, als ob alles super ist”
12. November 2021
Theresa Brückner ist seit 2019 Pfarrerin für die Kirche im digitalen Raum in Berlin und als @theresaliebt eine der wichtigsten „Sinnfluencerinnen“ der evangelischen Kirche. Allein ihrem Instagram-Account folgen rund 19.000 Menschen. Daneben postet sie bei Facebook und Twitter über ihr Leben als Pfarrerin und Mutter und dreht Videos für ihren eigenen Youtube-Kanal. Im Interview erzählt sie, wie sie mit ihrer Arbeit anderen Mut machen will.
Auf der November-Synode der Nordkirche berichtet sie über die Verkündigung im digitalen Raum. Wir haben Theresa Brückner schon vorab gefragt, welche Erfahrungen sie im Netz gemacht hat – und was sie anderen mitgeben möchte.
Frau Brückner, Sie zeigen auf ihren Kanälen, dass nicht alles Zucker ist – weder das Leben als Mutter, noch das als Pastorin. Sie zeigen, dass es nicht nur im Privaten, sondern auch beruflich Dinge gibt, die schwierig sind und mit denen Sie hadern. Dieser Ansatz ist bewusst gewählt?
Theresa Brückner: Ja, das mache ich mittlerweile sehr bewusst. Gerade in Richtung der Vikarinnen und Vikare. Denn in der Ausbildung ist man oft sehr vorsichtig und noch nicht so frei in seinen Worten. Dabei ist nicht alles schön. Die Burn-Out-Quote in unserem Beruf ist nicht zu unterschätzen. Das ist zum Beispiel etwas, was man transparent machen muss. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass ich auch einfach keine Lust hab, so zu tun, als ob alles super ist. Das Leben ist nicht so.
Ein wichtiger Punkt, für den Sie mitunter aber auch kritisiert werden.
Klar, ernte ich damit Kritik. Es gibt immer wieder Leute, die sagen: Das hat mir viel zu wenig mit herausgerufenem Evangelium zu tun. Aber denen sage ich: Es hat ganz viel mit impliziertem Evangelium zu tun. Mit implizierter Kommunikation. Also: Wie gestalte ich meinen Alltag? Wie wertschätze ich sowohl mich selbst als auch mein Glaubensleben? Darum geht es.
Und ja, es kommen Kommentare dazu, dass es theologisch total fragwürdig sei, was ich da mache. Dabei ist es genau das Gegenteil, wenn man sich mal damit beschäftigt: Die Verkündigung des Evangeliums – geht hin zu den Menschen – das ist etwas theologisch hochgradig Wichtiges.
Was raten Sie denn anderen Theologinnen und Theologen, die vielleicht noch neu in den digitalen Netzwerken sind, zum Umgang mit solchen Kommentaren?
Es hilft, sich immer wieder klar zu machen: Warum mache ich das? Und für wen mache ich das? Soll derjenige, der mich kritisiert, vielleicht gar nicht angesprochen werden? Ich sag’s mal so: Einen Seniorenabend mache ich ja auch nicht in der Kitagruppe. Natürlich findet die Kitagruppe das doof und andersrum. Ist ja klar.
Gibt es denn etwas, was Sie nicht posten würden? Entweder, weil es Ihnen zu privat ist oder weil die Gefahr, dass Sie damit jemanden verletzen, zu groß ist?
Ich zeige nicht die Gesichter meiner Kinder. Beim zweiten Kind habe ich nicht mal das Geschlecht meines Kindes genannt. Ich rede einfach von Kind. Poste auch bewusst keine Entwicklungsschritte mehr. Also was andere gerne mal machen: Erster Zahn, erste Schritte, windelfrei, so etwas. Das ist nicht mein Leben, sondern das meiner Kinder und das ist meine Grenze. Anfangs habe ich das eher noch gemacht. Doch inzwischen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass solche Dinge auch etwas mit Daten zu tun haben, die ich nicht veröffentlichen will.
Bei Interviews geht es übrigens auch oft darum: Viele wollen uns als Familie zeigen. Und da sage ich: Das mache ich nicht. Dann springen zwar viele wieder ab, aber das ist mir dann egal. Meine Kinder müssen nicht alles mitgehen, nur weil ich mich für diesen Weg entschieden habe.
Und thematisch – da muss ich sagen, dass ich natürlich nur aus meiner eigenen Lebensrealität erzählen kann. Ein Beispiel: Ich kann sagen, dass ich ganz klar gegen Homophobie und Transphobie bin und dass ich die queere Community unterstütze. Aber ich kann nicht berichten, wie es ist, queer zu leben.
Und beim Thema Sexismus ist es so, dass ich danach entscheide, ob ich gerade die Kraft dazu habe, das zu tragen. Denn gerade bei diesem Thema gibt es erfahrungsgemäß einen sehr großen Rücklauf.
Sie sprechen aber auch andere Themen an, an die sich viele bislang nicht herangetraut haben…
Was ich wirklich bewegend fand, waren die Reaktionen zu meinem Video mit dem Thema Fehlgeburten. Es haben sich so viele Eltern gemeldet und deutlich gemacht: Das ist einfach noch ein Riesen-Tabuthema. Viele Frauen sprechen nicht darüber, weil sie sich schämen. Und auch, weil dann so Sätze kommen wie: „Ach naja, es war ja noch früh, es war ja noch nicht geboren.“ Das ist ja eigentlich ein Satz, der bedeutet: Ich komme gerade nicht mit deiner Trauer klar. Deshalb sage ich irgendwas, damit wir ganz schnell zu einem anderen Thema kommen. Er verletzt einen am Ende aber noch mehr. Mediziner:innen haben dazu mitunter ja auch noch eine schwierige Haltung. Vielleicht, weil sie, wenn sie sich alles zu Herzen nähmen, selbst nicht mehr klarkämen. Manchmal fehlt ihnen aber auch die seelsorgerliche Kompetenz.
Diese Abgrenzung, die Haltung sich nicht alles zu Herzen zu nehmen – ist das in Ihrem Fall nicht noch einmal schwieriger? Gerade, weil sie durch Social Media über ihre Gemeinde hinaus präsent und erreichbar sind?
Was ja eigentlich total toll ist! Aber klar, gerade zu Beginn des ersten Corona-Lockdowns war das schon krass. Ich hab‘ da eigentlich durchgehend Seelsorge gemacht. Einfach, weil es noch sehr wenig andere gab, die so digital aufgestellt waren.
Sie sind nach der Geburt ihres zweiten Kindes zunächst mit einer 30-Prozent-Stelle zurück im Pfarramt. Wie schaffen Sie es, nicht permanent auf das digitale Geschehen zu reagieren?
Ich arbeite mit einer Zeiterfassungsapp. Das ist übrigens etwas, was ich auch anderen rate: Zu gucken, wie viel Zeit investiere ich für was. Damit man sich dann auch anschauen kann: Was lasse ich möglicherweise in Zukunft wegfallen? Und natürlich ist es im Moment so, dass ich weniger schaffe als vorher. Kinder sind da sozusagen eine natürliche Grenze.
Haben Sie speziell für die Theologie-Nachwuchskräfte noch einen weiteren Tipp, wie man in Balance bleibt?
Man sollte immer schauen: Was gibt mir Energie, was zieht Energie? Bei mir ist es die Arbeit mit Jugendlichen: Nach einem Wochenende mit denen bin ich total fertig, aber es hat mir innerlich auch total viel gegeben. Das Gefühl, hier war meine Arbeit an der richtigen Stelle, ist wichtig. Und wenn diese Dinge aus dem Gleichgewicht geraten, muss man schauen, was man abgeben oder auch outsourcen kann.
Aber es ist ja kein Geheimnis, dass mit wenigen Pfarrstellen immer noch das ganze Spektrum der Pfarrarbeit von den Konfis bis zu den Älteren abgedeckt wird.
Ich hab’ kein Patentrezept. Aber was ich sehe, ist, dass es so nicht mehr geht. Einige haben uns an den jeweiligen Orten ein schwere Erbe hinterlassen, so dass wir jetzt schon eine Generation Burn-Out vor uns haben. Gleichzeitig haben wir einen Strukturwandel, der bedeutet, dass wir immer weniger Leute werden – und zwar sowohl bei den Mitarbeitenden als auch bei den Mitgliedern.
Veränderung geht nie ohne Schmerzen. Heißt: Es muss irgendetwas wegfallen. Die Anzahl der Kirchengesetze und der Verwaltungsaufgaben wächst. Ich kenne jetzt schon viele, die 80 Prozent Verwaltung machen. Da bleibt einfach wenig Zeit für Kreatives. Und ich finde, es funktioniert so nicht mehr, wie es bisher gelaufen ist. Die Gemeinde sagt natürlich immer: „Es muss aber!“ Ich glaube aber, dass wir schon in einem Trauer- und Abschiedsprozess sind. Schon die letzten 20 Jahre, ist mein Gefühl. Und jetzt kommen wir an einen Punkt, an dem wir radikal und konsequent sein müssen.
Was müsste denn aus Ihrer Sicht über kurz oder lang wegfallen?
Das ist absolut ortsabhängig. Ich gucke da auf Wirtschaftlichkeit. Das heißt zum Beispiel: Wenn ich einen Gottesdienst vorbereite – wie viele Stunden sind das, wie viel koste ich dann meinen Kirchenkreis? Und ist das dann effizient? Was erreicht wen und was nicht? Und macht das dann Sinn?
Wenn wir etwas streichen, muss das ja auch nicht automatisch heißen, dass es nicht mehr im Gemeindealltag vorkommt. Es kann auch heißen, dass ich einfach andere Leute dazu befähige, es selbst in die Hand zu nehmen. Ehrenamt-Empowerment ist da ein ganz wichtiger Punkt.
Also ein Mutmacher in Richtung der jungen Kolleginnen und Kollegen, sich auf das zu konzentrieren, was einem liegt und was einem Spaß macht?
Freude an dem, was man tut ist immer wichtig. Egal, ob bei der analogen Gemeindearbeit oder im Digitalen. Sonst geht es sowieso schief. Deswegen sage ich auch den Vikarinnen und Vikaren: Überlegt euch, was euer Thema ist, worüber wollt ihr sprechen? Das muss nicht primär etwas mit Kirche zu tun haben. Probiert euch aus! Und dann muss man schauen, welches ist der richtige Kanal dafür. Und: Wie viel Zeit habe ich dafür? Denn die Debattenkultur in den sozialen Netzwerken ist sehr unterschiedlich. Bei Facebook etwas reger als bei Instagram. Bei TikTok habe ich hingegen eine sehr junge Zielgruppe, aber das nützt alles wenig, wenn ich selbst keine Lust auf Videos habe.
Zum Abschluss vielleicht noch ein paar Best-Practice-Tipps für die digitale Arbeit von Pastorinnen und Pastoren: Die Fokussierung auf ein Thema, eine Zielgruppe und anfangs zunächst einmal auf einen Kanal ist ein Tipp von Ihnen. Was noch?
Digitale Ästhetik ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich sag mal so: Die klassische Gemeindebrief-Ästhetik ist nicht das, was digital funktioniert. Wenn ich Workshops gebe, mache ich gern folgende Übung mit den Leuten: Ich sage, zeigt mir doch mal ein Foto – und dann soll der Rest der Gruppe sagen, was dieses Bild transportiert. Und das ist spannend, was dabei herauskommt! Und manchmal auch ganz schön traurig, wie Bilder für Artikel ausgewählt werden, die überhaupt gar nichts bei den anderen auslösen.
Und deshalb gebe ich den Tipp: Bitte schaut euch Accounts an, die nichts mit Kirche zu tun haben, aber offenbar gut laufen und dann analysiert mal: Was für Bilder verwenden die? Das heißt nicht, dass man alles gleich machen muss. Man kann sich immer abgrenzen. Aber es heißt, dass man bewusst guckt, wie funktioniert was? Was spricht mich an, was nicht? Und vor allem: Was spricht offenbar alle anderen an? So lernt man dazu.
Das Gleiche gilt für Sprache: Also was verstehen die Leute und was nicht? Mit meinem Theologie-Slang kann ich da keinen hervorlocken. Und da bin ich sehr dankbar, dass ich gerade durch Social Media dazu gekommen bin, mich selbst zu fragen: Was ist verständlich und was nicht? Das hat mir auf so vielen Ebenen geholfen – auch bei meiner Predigtsprache.
Liebe Frau Brückner, Danke für das Gespräch!