Trauerbegleitung für Kinder und Jugendliche: Für Wut und Trauer eine Sprache finden
23. November 2024
Beim ambulanten Hospizdienst bieten ausgebildete Trauerbegleiterinnen für Kinder und Jugendliche ab sechs Jahren Trauergruppen an. Im geschützten Rahmen lernen die Betroffenen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen und neues Vertrauen ins Leben zu fassen.
Der helle Raum im Obergeschoss des Hospizdienstes in Schleswig ist mit bunten Sitzkissen und Stühlen sowie Regalen mit zahlreichen Spielen möbliert, seine Wände sind in sonnengelber Farbe gestrichen. Beim zweiten Hinschauen fallen viele selbstgemalten Bilder und ein großer Boxsack ins Auge.
Hier leitet Heidi Knoch-Santen hauptamtlich Trauerbegleitungsgruppen für Kinder und Jugendliche. Diese finden im Wechsel alle zwei Wochen statt. Bis zu sechs Kinder ab sechs Jahren oder Jugendliche bis zum maximal 18. Lebensjahr nehmen daran teil.
Ein geschützter Raum mit einer Gruppe
„In der Gruppe fühlen sich die Kinder wohl. Sie bietet ihnen einen geschützten Raum, in dem sie wertgeschätzt und akzeptiert werden“, erklärt die frühere Kinderkrankenschwester. „In den Gruppen arbeite ich immer zu zweit mit einer ausgebildeten ehrenamtlichen Kraft zusammen.“
Wie lange die Kinder die Trauergruppe besuchen, ist individuell verschieden. „Ein bis anderthalb Jahre bleiben die Kinder meistens. Wir merken, wenn sie so weit sind, dass sie die Gruppe verlassen können“, sagt Heidi Knoch-Santen.
Seit 2006 ist sie in der Hospizarbeit tätig, seit 2012 in der Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen und mittlerweile Teil des Leitungsteams. Im Laufe der Jahre hat sie zahlreiche Fortbildungen absolviert und einen Schwerpunkt in der Begleitung von jungen Menschen und Trauernden nach einem Suizid gesetzt.
Verlust eines nahestehenden Menschen
Die Kinder und Jugendlichen, die diese Gruppen besuchen, haben ein Elternteil oder einen anderen sehr nahestehenden Menschen verloren, oft durch einen Unglücksfall oder eine schwere Krankheit wie Krebs. Die Kontaktaufnahme mit der Trauerbegleitung erfolgt meist durch eine Person aus dem engeren Familienkreis, erzählt Heidi Knoch-Santen.
Jedes Kind oder jeder Jugendliche kann bei einem ersten Besuch die Einrichtung und die Trauerbegleiterinnen kennenlernen, dann entscheiden sie selbst, ob sie wiederkommen möchten. Fast immer ist das der Fall. Wenn die Kinder Vertrauen gefasst haben, können sie eher über den Tod ihres Angehörigen sprechen – auch wenn es schmerzhaft ist.
Die Welt wird erschüttert
„Mit dem Tod eines Elternteils erleben die Kinder einen existenziellen Abschied. Dadurch wird ihre Welt, ihre Sicherheit grundsätzlich erschüttert. Das unterscheidet die Trauerarbeit mit Erwachsenen von der mit Kindern. Sie können oft nicht begreifen, was eigentlich passiert – und sie können es ganz häufig auch nicht aussprechen“, erklärt Heidi Knoch-Santen.
Wege, Gefühle in Worte zu fassen
„Wir versuchen, den jungen Menschen Wege zu zeigen, ihre Gefühle in Worte zu fassen. Je älter die Kinder werden, desto bewusster wird ihnen die Trauersituation. Da kann auch plötzlich wieder etwas aufbrechen, wenn die Kinder das Verständnis für das Unwiederbringliche entwickeln.“
Sprachlosigkeit einen Weg weisen
In der Trauergruppe gibt es viele Möglichkeiten und Angebote, um auch „sprachlosen“ Kindern einen Weg zu zeigen, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Es ist allein schon ein Trost, zu erkennen, dass es anderen genauso ergeht, sie genauso traurig sind.
Mit Spielen, die einen Zugang ermöglichen, ohne dass die Kinder sich unter Druck gesetzt fühlen, werden sie dort abgeholt, wo sie sich im Moment befinden. Auch Malen oder Bewegung spielen eine Rolle. Das kann individuell und auch abhängig von der „Tagesform“ sehr unterschiedlich sein.
Die Trauerbegleiterinnen halten auch den Kontakt zu den Eltern und sind, wenn es nötig ist, jederzeit telefonisch erreichbar. „Meist kommt die hinterbliebene Mutter oder der Vater von allein auf uns zu, wenn sie beobachten, dass ein Kind sein Verhalten auffällig verändert, sehr wütend erscheint oder mehr weint.“
Gefühl von Wut und Ungerechtigkeit
„Warum wird mir meine Mama genommen?“ Viele der Kinder tragen eine große Wut in sich, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen – in solchen Fällen leisten der Boxsack oder der „Brülleimer“ beste Dienste.
„Ich fordere das Kind auf, in den Blecheimer nach Kräften hineinzubrüllen und mache das auch gerne vor. Ich habe schon erlebt, dass ein sehr stilles, in sich zurückgezogenes Kind mit all seiner Kraft minutenlang seine Wut in den Eimer gebrüllt hat – und danach in der Lage war, aus sich herauszukommen“, erinnert sich Heidi Knoch-Santen.
Wieder Vertrauen ins Leben entwickeln
„Die Trauerbegleitung ist meine Herzensangelegenheit. Ich glaube, das ist der Platz, auf dem ich sein soll“, sagt Heidi Knoch-Santen. „Wenn ich erlebe, dass diese jungen Menschen wieder Tritt fassen, wieder Vertrauen ins Leben entwickeln, sich selbst wiederfinden und an sich glauben – wenn das geschieht, dann ist das etwas, was mich sehr erfüllt.“