Weihnachtsgottesdienst hinter Gefängnismauern
27. Dezember 2024
Ein Gottesdienst hinter dicken Mauern und verschlossenen Türen – für Gefängnisseelsorgerinnen und -seelsorger ein vertrauter Rahmen. Auch am Heiligen Abend scheint sich daran nicht viel zu ändern. Pastor Michael Carstens und Bischöfin Nora Steen wollen die Botschaft des Engels in der Heiligen Nacht verkünden und erzählen, dass sie für jeden Menschen gilt.
Die Jugendanstalt Schleswig liegt außerhalb der Stadt, eingebettet in ein Waldgebiet. Selbst mit dem Auto kommen nur wenige Menschen hier vorbei. Die mächtigen Betonwände, die das Gelände umschließen, wirken alles andere als einladend. Am Morgen des 24. Dezembers ist es frostig, und der Himmel erstrahlt in rosa Farben – ein besonders schöner, winterlicher Sonnenaufgang bildet den Auftakt dieses Tages.
Ein Lichtblick im eintönigen Alltag
Pastor Michael Carstens, Gefängnisseelsorger der Nordkirche, feiert hier und heute gemeinsam mit jugendlichen Straftätern sowie Erwachsenen aus der Untersuchungshaft den Weihnachtsgottesdienst. Zur Feier des Tages ist auch Sprengelbischöfin Nora Steen anwesend und wird die Predigt halten – ein Termin, der ihr am Herzen liegt.
„Während wir das Jahr als fortlaufend erleben, ist es im Gefängnis immer gleich. Hier scheint die Zeit stillzustehen“, weiß der Gefängnisseelsorger. Deshalb ist das Weihnachtsfest eines der wenigen Ereignisse, die diese Gleichförmigkeit unterbrechen. Den Mehrzweckraum, der sonst für Besuche genutzt wird, hat der Pastor zusammen mit „seinem Küster“ – einem jungen Straftäter – in einen Kirchenraum verwandelt. Dazu gehören ein beweglicher Altar aus Wurzelholz und ein herabrollbares Transparent in leuchtenden Regenbogenfarben. Für die Teilnehmenden sind Stühle im Halbrund aufgebaut.
Licht symbolisiert Verbundenheit mit den Lieben
Pastor Carstens feiert hier alle zwei Wochen Gottesdienst. Ihm ist diese Regelmäßigkeit wichtig, damit seine Gottesdienstbesucher mit den Liedern, Abläufen und der Liturgie vertraut werden und sich zunehmend wohlfühlen.
Etwa 20 Teilnehmende haben sich heute zum Weihnachtsgottesdienst eingefunden. Das Glockenläuten und die Begleitmusik kommen vom Band. Die Klänge schaffen auch hier, in diesem zweckmäßigen Raum, eine festliche und andächtige Stimmung. Vorne auf dem Tisch hat Pastor Carstens Kerzen bereitgestellt. Gleich zu Beginn des Gottesdienstes lädt er alle ein, in Verbundenheit zu den Menschen und Familien zu Hause ein Licht zu entzünden – und alle kommen der Einladung mit großem Ernst nach.
Ein erster weihnachtlicher Glanz scheint auf, als sich das warme Licht der Kerzen ausbreitet. Für die Menschen ist dies ein Ritual, das sie sehr wichtig nehmen. Alle warten geduldig, und während ein Licht nach dem anderen entzündet wird, scheinen einige ein wenig schwerer zu atmen oder leise zu seufzen.
Den Worten des Pastors und der Bischöfin lauschen die Anwesenden aufmerksam, kommentieren oder tauschen lachend eine Bemerkung aus. Oft spricht Pastor Carstens die Menschen direkt an, zeigt, dass er sie kennt und mit ihrer Situation vertraut ist. Auch das Attentat von Magdeburg erwähnt er und weckt Anteilnahme und Empörung bei seinen Zuhörern. „Es hätte jeden von uns treffen können“, ruft einer in den Raum und erntet Nicken und Zustimmung.
Gott liebt uns in aller Unvollkommenheit
„Gott liebt die Welt, auch wenn sie wenig liebenswert erscheint“, versucht der Pastor, das Unfassbare in Worte zu kleiden. Auch die Bischöfin widmet sich in ihrer Ansprache zunächst dem Attentat und erzählt, dass Weihnachten nicht so perfekt sei, wie wir es uns wünschen würden. „Genauso müssen auch wir nicht perfekt sein.“ Doch Gott schaue in unsere Herzen – wir müssten sie nur einen Spalt öffnen, damit seine Liebe darin wohnen könne, sagt sie.
Pastor Carstens hat für diesen Gottesdienst viele traditionelle Lieder ausgesucht, aber auch ein paar Songs in modernem Gewand. Alle geben sich viel Mühe, den Texten in den Liedheften zu folgen und nach bestem Können mitzusingen, auch wenn es sich etwas ungeübt und rau anhört. Die Musik ist in diesem Gottesdienst besonders wichtig – sie holt die Teilnehmenden hinein in die Feier. Doch nicht nur deshalb ist das Singen bedeutsam. „Singen macht Freude, und es ist ein wichtiges verbindendes Element“, hat Pastor Carstens erfahren.
Was zählt, ist das Beisammensein
Zum Abschluss erklingt „Oh du fröhliche“. „Wir singen es morgens als eine der ersten Gemeinden, und dann zieht es durch alle christlichen Gottesdienste. Das Lied bringt uns in Verbindung mit der gesamten christlichen Gemeinschaft“, erklärt der Pastor.
Verbundenheit ist eines der wesentlichen Elemente, die in diesem Gottesdienst spürbar werden sollen. „Meine Erfahrung ist, dass es weniger wichtig ist, was ich predige, sondern dass wir zusammen sind“, berichtet Pastor Carstens. Rituale, Gebete, das Singen und der Stuhlkreis haben deshalb eine so hohe Bedeutung und sind weit mehr als formale Abläufe.
„Wir sind alle geliebt von Gott“, hatte die Bischöfin zuvor in ihrer Predigt gesagt. „Lass uns dich, Gott, in uns finden, und lass uns erkennen, dass wir nicht alleine sind.“