Welthungertag: Jeder kann etwas unternehmen
15. Oktober 2021
Hunger hat viel mit Ungerechtigkeit und Verschwendung zu tun – auch mit unser eigenen. Zum Welternährungstag hat nordkirche.de Johanna Stackelberg und Anke Bobusch – Referentinnen Brot für die Welt im Diakonischen Werk Mecklenburg-Vorpommern – gefragt, wie wir unser Konsumverhalten verbessern können.
nordkirche.de: Laut Einschätzungen von Brot für die Welt hat rund ein Drittel der Weltbevölkerung nicht ausreichend gesunde Nahrungsmittel zu essen. Das liegt jedoch nicht daran, dass weltweit zu wenig Lebensmittel produziert werden...
Johanna Stackelberg: Richtig. Hunger ist generell kein Problem des Mangels an Nahrungsmitteln, sondern viel mehr ein Verteilungsproblem. Die Landwirtschaft kann heute ausreichen Lebensmittel für rund zwölf Milliarden Menschen produzieren. Aber diese sind ungerecht verteilt. Einige leben im Überfluss, alles ist immer und sofort verfügbar. Andere leben in großem Hunger. Nach Schätzungen von Brot für die Welt gehen weltweit rund 222 Millionen Tonnen an Lebensmitteln durch Verschwendung verloren. Lebensmittel die andere fehlen und sie hungern lässt.
Pflanzliche Nahrungsmittel statt tierische
Welche Möglichkeiten haben wir als Konsumenten, dagegen zu steuern?
Anke Bobusch: Das globale Hungerproblem können nur politische Weichenstellungen lösen. Aber Verbraucher können natürlich dazu beitragen und mit ihren Kaufentscheidungen Positionen beziehen und die Politik zum Handeln zwingen. Zudem ist es so, dass ungerechte globale Handelsstrukturen und Abkommen dazu beitragen, dass es überhaupt Hunger auf der Welt gibt.
Paradoxerweise ist der Hunger in den Regionen am größten, wo die ländliche Bevölkerung wohnt. Fehlende Landrechte, kein Saatgut, Anbaumethoden, die klimaresilient sind, sind dabei nur einige der Probleme. Brot für die Welt macht sich stark dafür, dass Deutschland seine Position in der EU dafür nutzen sollte, die Ursachen von Hunger zu bekämpfen.
Weltweit rund 222 Millionen Tonnen an Lebensmitteln durch Verschwendung verloren.
Außerdem sollte die Anbaufläche für Futtermittel reduziert werden. Rund zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen weltweit werden für die Fütterung und Haltung von Tieren genutzt. Dabei liefert der Anbau pflanzlicher Nahrungsmittel für Menschen durch den direkten Verzehr viel mehr Kalorien und Nährstoffe. Folgerichtig dürfen auch keine weiteren Ackerflächen für die Gewinnung von Treibstoffen genutzt werden.
Zusätzlich ist es unerlässlich, dass die Rechte von Frauen in der Landwirtschaft und der Fischerei in den Ländern des globalen Südens gestärkt werden und das Konzept der Ernährungssouveränität umgesetzt wird. Das heißt, dass weltweit die Interessen der Menschen im Mittelpunkt stehen, die Nahrung produzieren. Das alles trägt zu einer ländlichen Entwicklung bei, die einerseits wirtschaftliche und soziale Perspektiven eröffnet, andererseits Armut und Hunger reduziert.
Fairtrade für ein Leben in Würde
Denken wir an den alltäglichen Einkauf: Wie kann ich sicher sein, dass ich mit dem Kauf bestimmter Waren eine gerechtere Verteilung unterstütze?
Johanna Stackelberg: Zum Beispiel indem ich Fairtrade-Produkte kaufe. Fairer Handel bedeutet Handel mit Produzenten und Produzentinnen aus Ländern im globalen Süden. Er unterliegt konsequenten Kontrollstrukturen. Ungerechte Zwischenhandelsstrukturen werden ausgeschlossen. Durch die gemeinsame Festlegung von Fairen Preisen werden Produzenten an der Preisgestaltung beteiligt und können für ihre Produkte den Erlös erzielen, den sie benötigen, um ein Leben in Würde führen zu können. Fairer Handel fördert weltweit Kleinproduzenten und Landwirte und stärkt bewusst die Rechte von Frauen. Fairer Handel finanziert Produkte bereits im Vorfeld und sichert garantierte Abnahmemengen zu.
Das bedeutet: Fairer Handel bietet Verlässlichkeit und Planbarkeit für die Familien, die davon profitieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Produzentinnen und Produzenten für landwirtschaftliche Produkte mehr als den Weltmarktpreis erzielen.
Regional einkaufen
Müssten wir, um das Problem global zu lösen, nicht auch eine radikale Ernährungsumstellung in den Industrienationen, allen voran in Deutschland, anstreben?
Anke Bobusch: Eine radikale Ernährungsumstellung ist sicher nicht nötig, eine verantwortliche eher. Es ist ja bekannt, dass eine fleischfreie Ernährung weniger Ressourcen benötigt. Also bringt ein gewisser Fleischverzicht natürlich schon etwas. Wir Verbraucher können an dieser Stelle wichtige Signale setzen, wenn wir regionale Strukturen unterstützen. Also auf dem Wochenmarkt einkaufen oder in Hofläden. Ziel sollte es sein, dass weltweit weniger Flächen für den Anbau von Futtermitteln verwendet werden.
Haben Sie selbst einen Motivationstrick, für alle, die sagen „Ja, man müsste, aber…“?
Anke Bobusch: Einfach mal anfangen. Wenn jeder oder jede anfängt über Zusammenhänge nachzudenken oder zu hinterfragen, woher unsere Lebensmittel kommen, wer dafür arbeitet, dann kann Veränderung beginnen. Wir müssen Lebensmittel und die Menschen, die sie produzieren, wieder wertschätzen. Landwirte müssen von ihrer Arbeit Leben können.
Jede Reise beginnt mit einem kleinen Schritt
Die solidarische Landwirtschaft zeigt das ja beispielsweise: regional und saisonal essen, weniger bis keine Fertiggerichte.
Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt! Kleine Dinge im Alltag ändern, hat auch einen Effekt. Und vor allem davon erzählen, eine Öffentlichkeit schaffen und andere ins Boot holen! Dann kann es gelingen, seine Ernährungsweise umzustellen.