Aids-Seelsorge kämpft für sexuelle Freiheit und Vielfalt
28. März 2024
Die Aids-Seelsorge Hamburg begleitet seit 30 Jahren Menschen, die HIV-positiv sind und an Aids erkrankt sind. Vieles hat sich seitdem geändert. Doch Vorurteile gibt es immer noch.
Reiner Spauke erinnert sich noch genau: „Ich hatte Symptome, die ich für eine Grippe hielt.“ 1982 oder 1983 muss das gewesen sein.
Virus bedeutete anfangs, dass man nicht alt wird
Als der Familienvater einige Zeit später einen HIV-Test machte, war schnell klar: Die vermeintliche Grippe ist eine HIV-Infektion. Er habe eine Broschüre bekommen, erinnert er sich. „Positiv? - was nun?“ Darin stand: „Gehen Sie nicht in die Sonne, gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf.“
Doch Fakt war: „Wer sich in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren mit dem HI-Virus infizierte, starb meist schnell daran“, sagt Thomas Lienau-Becker. Der Pastor leitet seit sechs Jahren die Aids-Seelsorge in Hamburg, die am Ostermontag ihr 30-jähriges Jubiläum feiert.
Altersarmut ist bei HIV-Positiven ein Thema
Reiner Spauke ist heute 76 Jahre alt. Er ist mit HIV alt geworden. Etwas, womit er vor 30 Jahren nicht gerechnet hat. Menschen wie er kommen heute zur Aids-Seelsorge. „Ihr Lebensweg ist geprägt durch den Verlust von Freunden und Partnern“, erklärt Lienau-Becker.
Doch nicht nur das: Auch Altersarmut ist ein großes Thema. „Viele Menschen, die in den Achtzigerjahren eine HIV-Diagnose bekommen haben, haben von den Ärzten zu hören bekommen, dass sie nicht mehr lange zu Leben haben“, sagt der Pastor. Das hinterlässt Spuren: abgebrochene Ausbildung, keine finanzielle Vorsorge. Wozu auch?
Angst vor Stigmatisierung ist noch groß
Die Medikamente wurden wirksamer. Richtig medikamentös eingestellt, kann die Viruslast heute so weit verringert werden, dass eine Ansteckung nicht mehr möglich ist und Infizierte ein vollkommen normales Leben führen können.
Heute sei Altersarmut ein häufiges Thema in der Aids-Seelsorge. Daneben kommen auch viele Menschen aus Afrika und Osteuropa. In ihren Herkunftscommunitys können sie häufig nicht frei über die Infektion reden. Zu groß sei die Angst vor Vorurteilen und Stigmatisierung.
Aids-Pastor war ein Novum
Noch immer ist die Hamburger Aids-Seelsorge in ihrer Größe in Deutschland einmalig.1994 schuf der Evangelisch-Lutherische Kirchenkreisverband Hamburg 1994 eine Stelle für einen „Aids-Pastor“ und unterstützt die Seelsorge bis heute als Träger. „Ein Pastor nur für HIV-Infizierte und Aids-Kranke war bundesweit ein Novum“, erinnert sich Lienau-Becker.
Hat die Einrichtung anfangs Menschen mit HIV in Krankheit und beim Sterben betreut, sei die Kirche „diesen Menschen auch treu geblieben, als die größte Gefahr vorbei war, um sie in ihrem Leben mit HIV zu begleiten“, erklärt der Pastor.
Ausgrenzung, Diskriminierung und Vorurteile gibt es noch immer. Zwischenmenschlich, beim Arzt, im Krankenhaus. Heute lebten schätzungsweise 7.500 HIV-positive Menschen in Hamburg.
Seelsorge dreht sich um Selbstbestimmung
Inzwischen heißt die Aids-Seelsorge „positiv leben & lieben“. Denn es geht nicht mehr vordergründig um die Krankheit Aids, sondern um soziale Themen wie das selbstbestimmte Leben, die Liebe, um sexuelle Vielfalt und Identität mit und ohne HIV. Zugleich hat „positiv leben & lieben“ dazu beigetragen, dass die Vielfalt sexuellen Lebens und geschlechtlicher Identitäten auch in der evangelischen Kirche selbstverständlicher geworden ist.
Das wird gefeiert: am Ostermontag (1. April, 18 Uhr) im Jubiläumsgottesdienst mit Bischöfin Kirsten Fehrs in der Dreieinigkeitskirche St. Georg. Reiner Spauke wird auch da sein.