Aussegnungen: Jeder Name soll noch einmal erklingen
24. November 2024
In Lübeck begleiten Ehrenamtliche Trauerfeiern von Menschen, die behördlich bestattet werden. Es ist ein letzter Akt der Nächstenliebe, sagen sie. Denn jeder Name soll noch einmal erklingen und auch gehört werden, bevor die Asche der Toten begraben wird.
Die Herz-Jesu-Kirche in Lübeck ist in warmes Dämmerlicht getaucht. Dort haben Menschen Kerzen für diejenigen angezündet, die ihnen am Herzen liegen. Es ist eine tröstliche Geste, die symbolisiert, dass weder die Lebenden noch die Toten vergessen sind.
Letztes Geleit für die, die sonst niemanden haben
Was aber, wenn jemand einsam und allein stirbt? Die Kirche ist Heimatgemeinde einer kleinen Gruppe, die dafür sorgt, dass jeder Mensch in Würde verabschiedet wird: Die Ehrenamtlichen begleiten in ihrer Freizeit Kollektivaussegnungen. So werden die ökumenischen Trauerfeiern genannt, die in Lübeck einmal im Monat für alle Kirchenmitglieder stattfinden, deren Beisetzung nicht durch Angehörige, sondern die Sozialbehörde organisiert wird.
Auch wenn die eigentliche Zeremonie in einem nahen Bestattungsinstitut gefeiert wird, so fing doch alles in der Herz-Jesu-Gemeinde an, erzählen die Ehrenamtlichen. Vor mehr als 10 Jahren sprach sie ihr Pastor an, ob sie sich vorstellen könnten, das letzte Geleit für Menschen zu sein, die sonst kaum oder keine Trauergäste haben.
Ehrenamtliche füllen die Leere
„Anfangs dachte ich, es geht um Wohnungslose, aber so ist es nicht“, erzählt Henryka Zemcke. Jedenfalls nicht ausschließlich, präzisiert sie. Oft handele es sich bei den Verstorbenen um Menschen, die einsam waren. So einsam, dass sich niemand verantwortlich fühlt, eine individuelle Trauerfeier zu organisieren.
Bei der ökumenischen Aussegnung soll diese Leere gefüllt werden. „Wir sind im Augenblick der Zeremonie die Gemeinde“, sagt Bärbel Baum. Das heißt, die Ehrenamtlichen hören die Lesung der Geistlichen für die Verstorbenen, singen und beten für sie und sind Zeuge ihrer letzten Segnung. Pro Monat sind es etwa 10 bis 15 Verstorbene aus Lübeck und Umgebung, die auf diese Weise verabschiedet werden.
Es geht um Menschen unseres Alltags
Zentrale Elemente der kurzen Feier sind die Ausrufung jedes Namens mit Geburts- und Sterbedatum und das Entzünden einer Kerze für jeden Verstorbenen. Manchmal werde dazu auch die letzte Meldeadresse genannt. Oft sind es Seniorenwohnheime. Manchmal jedoch begegnen die Ehrenamtlichen auch den Namen von Leuten, die in der Nachbarschaft gewohnt haben.
Das sei erschreckend und traurig. Aber es mache auch deutlich: Viele, derjenigen, die anonym bestattet werden, sind Teil unserer Gemeinschaft, „unseres Alltags gewesen“, sagt Christel Brüggenthies und ergänzt: „Sie bei der Aussegnung zu begleiten, ist das Letzte, was wir für sie tun können.“
Ehrerweisung ist christliche Aufgabe
An einen Fall erinnern sich alle drei Frauen noch ganz genau. Denn in diesem Fall saßen sie ausnahmsweise nicht allein vor den Urnen: Nach dem Tod einer jungen, obdachlosen Frau, kamen zahlreiche ihrer Weggefährten zur Aussegnung, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Zu wissen, dass sie zwar verarmt, aber nicht allein gewesen sei, sei sehr berührend gewesen, meinen die Ehrenamtlichen.
Ganz gleich, ob jemand arm, einsam oder mit seiner Familie zerstritten gewesen sei: Die Ehrenamtlichen wollen allen einen würdevollen Abschied bereiten. „Wir haben das als unsere christliche Aufgabe erkannt“, so Bärbel Baum. „Es heißt ja schließlich ‚Liebe Deinen Nächsten`.“
Ein Dienst für verstorbene Kirchenmitglieder
Und ihre Mitstreiterin Henryka Zemcke ergänzt: „Wir freuen uns, wenn wir hören, dass jemand 80, 90 Jahre alt geworden ist und wir sind traurig, wenn es nur 50, 60 Jahre geworden sind.“ Ihre einzige Sorge sei manchmal, ob ein Gebet und Segen am Ende des Lebens auch im Sinne aller Verstorbenen sei.
Sicher sei zumindest, dass alle getauft und bis an ihr Lebensende Mitglied der katholischen oder evangelischen Kirche waren. Und so wollen sie weitermachen, damit jeder Name noch einmal erklingt und auch gehört wird, bevor die Asche der Toten in einem anonymen Grab ruht.