Bedford-Strohm fordert mehr Gespräch zwischen Ost und West
30. September 2019
Es sei "beängstigend", wie wenig Ost und West in Deutschland auch 30 Jahre nach dem Mauerfall voneinander wüssten, sagt der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm. Auch der Historiker Nolte fordert, Lebensgeschichten stärker wahrzunehmen.
Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit am Donnerstag hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, Ost- und Westdeutsche zu mehr Dialog aufgerufen. "Es ist geradezu beängstigend, wie wenig wir von den Biografien der jeweils Anderen wissen", sagte der bayerische Landesbischof. Beide Seiten hätten sich ihre Geschichten noch nicht erzählt - "und das 30 Jahre nach dem Mauerfall", sagte er.
Bundeskanzlerin Merkel würdigt den Mut der DDR-Bürger von 1989
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte den Mut, den viele Menschen 1989 in der DDR hatten. "Sie haben sich nicht mehr den Mund verbieten lassen. Sie sind aufgestanden und haben Mut gezeigt", sagte sie in ihrer wöchentlichen Videobotschaft am Sonnabend. Merkel wandte sich gegen eine pauschale Unterscheidung zwischen Ost und West, "denn es gibt jetzt ja doch viele Jahre gemeinsamen Lebens".
Merkel: "Es bleibt einiges zu tun"
Dennoch unterschieden sich die Biografien vieler Menschen, die in der ehemaligen DDR lebten von denen, die in der alten Bundesrepublik aufwuchsen. Zu den heutigen Lebensverhältnissen sagte Merkel: "Es ist in den vergangenen Jahrzehnten vieles erreicht worden, aber es bleibt einiges zu tun."
Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sprach indes von "Abbrucherfahrungen nach der Wende". "Dass hinter den Fernsehbildern aus dem Westen immer auch eine Lebensrealität steckte, die auch mit vielen Schwierigkeiten verbunden war, war manchem in der DDR nicht so deutlich geworden", sagte er. Das habe sicher auch zu übersteigerten Hoffnungen geführt.
Bedford-Strohm: "Man muss einander zuhören"
Mit Blick auf die AfD-Ergebnisse bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen sagte der oberste Repräsentant der deutschen Protestanten, er glaube, dass manche Leute sich über Enttäuschung und Kränkung Luft gemacht hätten. "Wir haben noch überhaupt nichts aufgearbeitet, das liegt noch vor uns", sagte er. Man müsse einander zuhören.
Auch der Historiker Paul Nolte plädierte dafür, stärker die Lebensgeschichten einzelner Menschen wahrzunehmen. "Es gibt eine dominierende westdeutsche Erzählung, die ein Stück weit dem Verlauf der Dinge geschuldet ist", sagte er. Die Asymmetrie sei unvermeidlich, "denn der Kommunismus hatte abgewirtschaftet und nicht die Ordnung des Grundgesetzes". Man müsse aber aus der "normativen Falle" herauskommen. "Lebensgeschichten der DDR zu erzählen und plausibel zu machen heißt ja nicht, das Honecker-Regime zu rechtfertigen", sagte er.
An mancher Stelle könne der Osten sogar selbstbewusster Positives von sich sagen, "etwa bei der Frage der Gleichberechtigung der Geschlechter, der Berufstätigkeit von Frauen oder der Kinderbetreuung". "Da haben wir in den vergangenen 30 Jahren in ganz Deutschland vom Osten gelernt", sagte Nolte.