Ein Interview mit Militärrabbiner Shmuel Havlin über Gedenken und Verantwortung
26. Januar 2025
Am 27. Januar begehen wir bundesweit und auch in der Nordkirche den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Shmuel Havlin ist Militärrabbiner in Norddeutschland. Aus der Geschichte zu lernen und selbst Verantwortung zu übernehmen, sind zwei seiner klaren Positionen, die er im Gespräch mit uns formuliert.
Lieber Herr Havlin, was bedeutet Ihnen persönlich dieser Gedenktag, und wie sehen Sie seine Bedeutung für die jüdische Gemeinschaft?
Shmuel Havlin: Der 27. Januar ist für mich als Jude, als Deutscher und insbesondere als Militärrabbiner der Bundeswehr von großer Bedeutung. An diesem Tag gedenken wir der Millionen, die ermordet wurden, der Familien, die getrennt wurden, der Gemeinden, die völlig vernichtet wurden. Wir haben die Verantwortung, das Judentum hier in Deutschland wiederzubeleben.
Wie können wir als Gesellschaft sicherstellen, dass die Erinnerung an die Shoah auch für künftige Generationen lebendig bleibt?
Immer daran denken, dass das Motto "Nie wieder" immer aktuell ist. Dazu gehört auch, nicht auf einen dramatischen Vorfall von Antisemitismus zu warten und dann dagegen zu demonstrieren, sondern jedem Vorfall von Antisemitismus oder Intoleranz mit harter Hand zu begegnen. Nicht darauf warten, dass sich die Politik oder die Behörden darum kümmern, sondern in Echtzeit reagieren.
Gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen
Was können wir von den Überlebenden lernen, die ihre Geschichten teilen?
Diese Menschen, die alles verloren und von Null angefangen haben, sind Helden und eine Quelle der Inspiration. Wenn wir aus der Geschichte lernen, können wir gemeinsam eine bessere Zukunft schaffen.
Wie kann der Glaube Menschen inmitten unvorstellbarer Leiden Kraft geben? Haben Sie Beispiele aus Überlebensberichten?
Die meisten Jüdinnen und Juden fanden in Religion und Tradition eine mentale Stärke und Sicherheit, die sie zuvor in nichts anderem gefunden hatten.
Bei diesen Menschen tauchen nach dem Holocaust keine Fragen auf, die Zweifel am Glauben aufkommen lassen, sondern sie waren stark davon überzeugt, dass es Antworten gibt, die über das hinausgehen, was sie angesichts all des Leids, das sie erlebt haben, verstehen können.
Jeder von uns trägt eine Verantwortung
Welche Botschaft würden Sie (jungen) Menschen heute mitgeben, um Antisemitismus und Hass entgegenzuwirken?
Es ist wichtig, in den Schulen den Schwerpunkt auf Geschichtskenntnisse zu legen. Und wir müssen vermitteln, dass jeder von uns eine Verantwortung trägt, Vorfälle von Intoleranz oder Antisemitismus nicht zu ignorieren.
Danke für das Interview.