Einsatz fürs Klima: Wie die Pfadfinder unser Umweltbewusstsein verändern
08. März 2022
Müll sammeln, umweltfreundliche Verkehrsmittel nutzen, emissionsarm zelten: All das machen die Pfadis des Verbands Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) schon lange. Doch ausruhen zählt nicht! Im Interview sagt Sören Bröcker, Mitglied der VCP-Bundesleitung, was die nächsten Ziele sind und warum Bildung der Schlüssel zu mehr Umweltschutz ist.
Naturschutz – das gehört zum Selbstverständnis der Pfadis, unabhängig davon aus welchem Verband und Stamm sie kommen. „Try to leave this world a little better than you found it“ (Versuche die Welt ein kleines bisschen besser zu verlassen, als du sie vorgefunden hast) ist schließlich einer ihrer Leitsätze.
Doch was genau heißt das in der Praxis eigentlich?
Sören Bröcker: Der Spruch „Alles was wir hinterlassen, ist nur der guter Eindruck beim Platzwart“ ist durchaus wörtlich zu nehmen. Wenn wir ein Lager haben, bleibt da nichts liegen. Schon gar kein Müll. Im Gegenteil. In meinem Heider Heimatstamm im Kirchenkreis Dithmarschen haben wir sogar schon ein klimaneutrales Lager im Bereich Ernährung und Transport mit etwa 70 Leuten hinbekommen. Da haben wir dann zum Beispiel nur saisonal bei den Bauern in der Region eingekauft und sind natürlich auch nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Rad angereist. Am Ende haben wir ausgerechnet, wie viel Emissionen wir produziert haben und zum Ausgleich dafür auf unserem Gelände Bäume gepflanzt: Quitten- und Kirschbäume zum Beispiel, so dass gleichzeitig noch eine Streuobstwiese entstanden ist.
Bei meinem Heimatstamm wird auch nur vegetarisch gekocht. In Schleswig-Holstein ist das mittlerweile Standard, so dass es für einen Großteil der Pfadis selbstverständlich geworden ist.
Lässt sich so etwas auch auf Bundesebene übertragen?
Vegetarisches Essen schon. Aber kritisch betrachtet, muss man sagen: Man kann rein rechnerisch nicht jedes Lager klimaneutral gestalten, zumindest nicht indem man auf der eigenen Fläche Bäume pflanzt. Aber natürlich reisen wir vorrangig mit öffentlichen Verkehrsmitteln und gleichen die CO2-Emissionen, die bei unseren Treffen entstehen, über Dienste wie Atmosfair aus. Genauso rüsten wir unsere Bundeszentrale um, so dass wir bald mit Solarenergie arbeiten.
Auf Bundesebene haben wir sogar ein eigenes Referat „Nachhaltigkeitsstrategie“, das dafür sorgt, dass sich dieses Thema durch alle Bereiche unseres Handelns zieht. Es hat auch die 17 Kernziele der „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ der UN auf Methodenkarten herausgegeben. Sie veranschaulichen Kindern ab zehn Jahren mit praktischen Übungen etwa, was menschenwürdige Arbeit bedeutet und wie erneuerbare Energien funktionieren.
Generell gesprochen geht es immer darum, zu hinterfragen, was ist wirklich nötig? Kommen wir vielleicht auch mit weniger Verpackung, Energie- und Wasserverbrauch aus? Das vermitteln wir in jedem Lager, egal auf welcher Ebene.
Und das fängt schon bei den ganz Kleinen ab sechs Jahren an?
Ja, genau. Ganz eindrücklich wird es schon für die Jüngsten beim Besuch der Hohburg. Das ist ein echtes Highlight: Diese Hütte im Naturpark Westensee bei Kiel hat kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Heizung. Wer aufs Klo muss, geht in den Wald oder auf Plumpsklo. Gekocht wird über dem Lagerfeuer. Und plötzlich merkt man: Es geht. Man kann mit wenig auskommen. Natürlich ist es dann auch wieder schön, zuhause zu sein. Aber man hat ein anderes Bewusstsein dafür bekommen, was Komfort bedeutet und zu welchem Preis wir ihn genießen.
Positive Naturerlebnisse sind das eine. Doch Umwelt- und Klimaschutz sind hochpolitisch geworden. Wie positioniert ihr euch da?
Klar ist unsere Arbeit politisch, wenn auch nicht parteipolitisch. Wir unterstützen zum Beispiel die Fridays for Future Demos. In Hamburg aber auch in anderen Städten sind wir auch mit eigenen Redebeiträgen dabei. Die Pfadis sind immer mit auf der Straße, um das Bewusstsein für Umweltthemen zu stärken und an die Klimaziele zu erinnern.
Gleichzeitig geht es darum, die politische Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit zu fördern. Unser diesjähriges Bundeslager vom 30. Juli bis 8. August unterstreicht dieses Ziel. Es steht unter dem Motto: „Neustadt – Du hast die Wahl“. Heißt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer entscheiden, was ihnen wichtig ist und erschaffen einen Ort nach ihren eigenen Vorstellungen.
Aber auch auf internationaler Ebene sind wir politisch aktiv. Was die meisten nicht wissen: Die Pfadfinder aus den Verbänden WOSM und WAGGGS sind auch bei der Weltklimakonferenz vertreten sind. Bei der COP23 in Bonn war ich 2017 als einer von drei Delegierten aus Deutschland dabei, um unsere Positionen aufzuzeigen: Uns bleibt nicht viel Zeit, um die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß einzudämmen. Das Verständnis dafür ist jedoch nicht überall gleich ausgeprägt.
Was meinst du damit genau?
In Europa sind wir uns einig, dass Umweltschutz Priorität hat. In anderen Ländern ist die Gewichtung mitunter eine andere, weil auch die gesellschaftlichen Probleme andere sind. Im Vordergrund steht woanders zum Beispiel die Gleichbehandlung der Geschlechter, die noch nicht überall Realität ist.
Hierzulande machen wir uns Gedanken, ob wir wohlmöglich mit dem Zug zur Weltpfadfindertreffen Jamboree 2023 nach Korea reisen können, während es dort wahrscheinlich weiterhin Einweg-Geschirr geben kann. Es ist ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist.
Andere würden angesichts dieser Langfrist-Aufgaben vielleicht resignieren. Du aber hast auch beruflich das Thema Umwelt- und Klimaschutz zu deinem gemacht…
Ich habe gerade meinen Master in Climate Change in Berlin und Kopenhagen abgeschlossen und bin seit kurzem Projektberater Klimaschutz im Verkehr bei der Nahverkehrsgesellschaft von Baden-Württemberg (NVBW). Das hat sich glücklich gefügt und passt schon deshalb gut, weil ich auch im Master Integrierte Verkehrsplanung studiert habe. Klimaschutz wird mich nicht loslassen – so viel steht fest.
Dass es so schnell mit der Anstellung geklappt hat, hängt sehr wahrscheinlich aber auch mit meinen Pfadfinder-Aktivitäten zusammen. Und damit meine ich nicht das Klischee vom müllsammelnden Pfadi, der gern Omis über die Straße hilft. Pfadfinden ist viel mehr. Man erlernt „skills for life“, allen voran sich aktiv für seine Anliegen einzusetzen und nach seinen Überzeugungen zu handeln.
Ganz persönlich gesprochen: Was hast du noch bei den Pfadfindern gelernt, das dir im Job zugutekommt?
Ich glaube, ich kann ganz gut organisieren und die Dinge pragmatisch anpacken. Und die Pfadfinder haben mich belastbarer und gelassener gemacht. Das lernt man schnell, wenn man einmal eine Lagerleitung war: Ob jemand Heimweh hat oder sich verbrannt hat – egal, was passiert, man muss mit Ruhe und Sorgfalt an die Sache rangehen.
Klingt gut. Aber hat der VCP denn genug Nachwuchs?
Vor Corona hatten wir das Ziel, bis 2026 etwa 20.000 neue Mitglieder dazu zugewinnen. Das steht immer noch, auch wenn die Pandemie zwischenzeitlich einige Aktivitäten verhagelt hat. Wir sehen aber, dass die Nachfrage in der Corona-Zeit nicht abgenommen hat. Im Gegenteil: Die lange Zeit, die man zuhause verbringen musste, hat das Bedürfnis nach Erlebnissen in der Natur eher noch größer werden lassen. Und die Eltern merken, dass die Einflüsse auf die Kinder sehr positiv sind: Die Sozialkompetenz steigt, genauso wie das Selbstwertgefühl. Wer schüchtern war, blüht manchmal regelrecht auf, weil die Pfadfinder ihm oder ihr einen geschützten Raum und das Gefühl von Gemeinschaft geben.
Und was wünscht du dir von Seiten der Nordkirche für den VCP?
Mehr Beachtung und weniger Konkurrenz zwischen dem VCP und dem REGP! Unsere Arbeit sollte genauso anerkannt sein wie die des REGP. In der Praxis ist das noch nicht so, was sich zum Teil auch in der finanziellen Förderung und in der Einbindung in der Gemeinde ausdrückt. Wir sind ebenso ein Teil der Nordkirche – werden aber von außen kaum so wahrgenommen. Dabei müsste die Jugendarbeit für die Kirche eigentlich das A und O sein – sie ist die Zukunft.
Ganz konkret, wäre es toll, wenn die Hauptamtlichen in den Gemeinden auch über uns und unsere Angebote informieren würden. Gleichzeitig müssen wir selbst noch besser in der Öffentlichkeitsarbeit werden und uns nicht gegenseitig das Leben schwer machen. Im Kleinen klappt das sehr gut: Wenn Pfadfinder auf Pfadfinder treffen, verstehen wir uns. Doch das muss auch in der gesamten Nordkirche so gelebt werden.
Vielen Dank für das Gespräch.