Dr. Katja Happe, Leiterin KZ-Gedenkstätte Ladelund

Gedenkstätten-Leiterin: Bei der Erinnerungsarbeit geht es um das Hier und Jetzt

Die Gedenkstätte Ladelund besteht aus den Gräbern der Ermordeten sowie einem Haus mit Dauerausstellung. Wichtig sei, dass die Besucher:innen emotionales Wissen aufbauen, um die Brücke zur Gegenwart schlagen zu können, sagt Leiterin Dr. Katja Happe.
Die Gedenkstätte Ladelund besteht aus den Gräbern der Ermordeten sowie einem Haus mit Dauerausstellung. Wichtig sei, dass die Besucher:innen emotionales Wissen aufbauen, um die Brücke zur Gegenwart schlagen zu können, sagt Leiterin Dr. Katja Happe. © Archiv Gedenkstätte Ladelund (AGL)

26. Januar 2024 von Julia Krause

Am 27. Januar gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Eine der ältesten Gedenkstätten Deutschlands und die einzige in kirchlicher Trägerschaft ist die KZ-Gedenkstätte Ladelund im Kreis Nordfriesland. Im Interview sagt Leiterin Dr. Katja Happe, wie unsere Gedenkkultur sich verändert hat und warum das gut ist.

Es ist 79 Jahre her, dass die letzten Überlebenden aus den Konzentrationslagern befreit wurden. Heute erinnern Gedenkstätten mit unterschiedlichen Konzepten an das Unrecht und Leid, das die Gefangenen erlitten haben. 

Frau Happe, wie sieht modernes Gedenken aus?

Modernes Gedenken besteht aus mehreren Facetten. Nämlich nicht nur aus dem Wissen um die Vergangenheit, sondern auch aus der Fragestellung: Was ziehe ich heute daraus? Also: Welche Haltung kann ich aus meinem Wissen heraus zu den Ereignissen heute entwickeln.

Eintrittszeiten und Kontakt 

  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag: 10 bis 16 Uhr. Samstag und Sonntag: 14 bis 16 Uhr.
  • Telefon: (04666) 449.
  • Der Eintritt zur Gedenkstätte Ladelund ist frei. Spenden sind willkommen. 

In Ladelund machen wir das fest an den Biografien der hier ermordeten Männer. Das heißt zum Beispiel, dass sich eine Besuchergruppe intensiv mit einer Biografie beschäftigt und dazu ein Plakat erstellt. Denn dadurch wird derjenige aus der unpersönlichen Masse hervorgehoben. Es geht also nicht nur um „die Toten“, sondern um eine konkrete Person.

Man kennt am Ende ihren Namen, ihren Beruf. Man weiß, woher derjenige kam, ob er Kinder hatte, verheiratet war, wie er hierhergekommen ist. So wird die Geschichte zu einer Geschichte – sie bleibt im Kopf.

Historikerin Katja Happe leitet Schleswig-Holsteins älteste KZ-Gedenkstätte Ladelund© Nadine Heggen, epd

Und darüber kommt man ins Grübeln: Warum ist derjenige verfolgt worden? Werden heute immer noch Menschen verfolgt? Grenzen wir heute noch andere aus? Dieses Nachdenken ist das, was so wichtig ist.

Das heißt, es hilft eine emotionale Verbindung herzustellen, um die Brücke zur Gegenwart zu schlagen?

Ja. So lässt sich der Bogen von einem Individuum zu einem globalen Kontext spannen. Etwa wenn es um die Frage geht: Warum ist es so wichtig, unsere Demokratie zu verteidigen? Was passiert denn, wenn wir es nicht tun? Haben wir da vielleicht schon Beispiele aus der Vergangenheit, aus denen wir lernen können?

Geht es heute beim Besuch einer Gedenkstätte also mehr um das „Erarbeiten“ als um das „Anschauen“?

Wir können uns als kleine Gedenkstätte persönlich mit den Besucher:innen beschäftigen und müssen hier niemanden durchschleusen. Aber ich glaube, es hat sich generell einiges verändert.

Früher ging es um eine andere Art von Wissen: die Vermittlung von Daten und Totenzahlen etwa. Aber was nützt mir dieses Wissen? Vielmehr geht es doch darum, über eine Art emotionales Wissen eine Haltung zu entwickeln. Es geht um die Frage: Was kann ich heute tun, um zu verhindern, dass Politik und Gesellschaft sich noch einmal menschenfeindlich und undemokratisch verhalten? Wie wirken wir der Gefahr entgegen, dass sich so ein Unrecht noch einmal ereignet?

Wie Erinnerungsarbeit aussieht, hängt aber auch von der jeweiligen Besuchergruppe ab: Bei Schüler:innen und Soldat:innen und generell bei jüngeren Gruppen machen wir die Erfahrung, dass sie gern eine Aufgabe bearbeiten. Ältere Menschen wollen nicht unbedingt ein Plakat basteln, die möchten selbst etwas erzählen. Die holt man daher eher mit Gesprächsangeboten ab.

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (1/3)

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz. Es war der größte Konzentrationslager-Komplex der Nationalsozialisten.

Dort wurden zwischen 1940 und 1945 mehr als 1 Million Menschen ermordet. Die meisten von ihnen waren Jüdinnen und Juden. 

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (2/3)

Heute gedenken wir an diesem Tag allen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Stephan Linck, Studienleiter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit in der Nordkirche sagt: "Am Auschwitz-Gedenktag erinnern wir an den Völkermord. Und wir erinnern daran, dass dieser mit Hetze, Ausgrenzung, Verfolgung und Entrechtung begann."

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (3/3)

Wer heute plane, den Rechtsstaat zu zerstören und unzähligen Menschen ihr Recht, in Deutschland zu leben, streitig mache, müsse eine klare Antwort erhalten, so Linck. "Die Antwort muss sein, den Bedrohten Schutzräume zu bieten." Unsere Gesellschaft müsse ein klares Bekenntnis abgeben, dass daran keinen Zweifel lasse.  

Die Besucherzahlen in den KZ-Gedenkstätten steigen nach den Corona-Jahren wieder. Gleichzeitig vermelden viele Einrichtungen aber auch mehr antisemitische Übergriffe. Wie ist Ihre Erfahrung?

Wir hatten hier zum Glück noch keinen einzigen solchen Vorfall. Weder Schmierereien, noch Beschädigungen oder dergleichen. Ich weiß aber, dass andere Gedenkstätten – auch in Schleswig-Holstein – damit zu kämpfen haben.

Für unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden haben wir daher einen Workshop dazu angeboten, was sie tun können, wenn hier zum Beispiel Menschen mit rechtem Gedankengut auftauchen. Es ist besser, vorbereitet zu sein, als von einer solchen Situation überrollt zu werden.

Vor der Kirche befindet sich die Grabanlage für die Toten des KZs Ladelund.
Vor der Kirche befindet sich die Grabanlage für die Toten des KZs Ladelund.© Archiv Gedenkstätte Ladelund (AGL)

Wie sieht denn die Strategie in so einem Fall aus?

Das kommt immer sehr auf die persönliche Verfassung darauf an: Bin ich an diesem Tag so aufgestellt, dass ich mich auf eine Diskussion einlassen kann? Wenn ich einen guten Tag habe und mich meiner Argumente und meines Standings sehr sicher fühle, dann kann ich das machen.

Aber ich kann genauso sagen: „Nein. Das diskutiere ich mit Ihnen nicht. Bitte verlassen Sie den Raum.“ Alle unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter können das Hausrecht anwenden. Diese beiden Pole gibt es. Und dazwischen natürlich noch Abstufungen. Und sie alle sind meiner Meinung nach akzeptabel.

Mit Blick auf die derzeitigen Proteste: Positionieren Sie sich bewusst gegen rechtsextreme Parteien? Oder sagen Sie: Unser Engagement geht in Richtung Demokratieförderung, wir nehmen aber nicht konkret Bezug auf die politische Landschaft?

Wir unterstützen mit unserer Arbeit die freiheitlich demokratische Grundordnung und ein friedliches Miteinander. Keine Frage. Das ist unser Ziel, bei allem, was wir hier tun. Gleichzeitig finde ich, dass man ganz klar Stellung beziehen muss gegen die AfD und sämtliche rechtsextreme Tendenzen.

Als Leiterin einer KZ-Gedenkstätte, die sich mit der NS-Geschichte beschäftigt, kann ich nicht einfach still sein, wenn die AfD droht, hier in Nordfriesland das Zünglein an der Waage zu werden. Da muss ich mich einfach positionieren – ich als Person, aber auch ich im Namen der Gedenkstätte.

Für mich heißt das dann etwa, dass ich einen Leserbrief schreibe, wenn ein AfD-Kandidat ein Bürgerschaftsmandat bekommt. Gleichzeitig sind wir als Gedenkstätte bereits seit längerer Zeit Mitglied einer kleinen Organisation, die sich gegen rechtsextreme Tendenzen im ländlichen Raum stellt.

Die Gedenkstätte Ladelund im Winter
Die Gedenkstätte Ladelund besuchen jährlich etwa 3000 Menschen. Vor der Corona-Pandemie waren es etwas mehr als 4000. © Archiv Gedenkstätte Ladelund (AGL)

Als Gedenkstätte organisieren wir derzeit zwar keine eigenen Mahnwachen oder Demonstrationen. Dazu sind wir hier oben geografisch zu sehr abseits. Aber wir teilen die Aufrufe anderer dazu.

Zum Abschluss noch eine Frage: Was wäre aus Ihrer Sicht ein optimaler Umgang mit der NS-Vergangenheit?

Ideal wäre, wenn die Leute Bescheid wissen und aus diesem Wissen heraus eine Haltung entwickeln. Wenn jeder weiß, was die damaligen Ereignisse in Bezug auf Menschenwürde, Demokratie, Vielfalt und Antirassismus bedeuten und dann daraus etwas für das Hier und Jetzt ableiten kann. Dann wäre ich meinen Job los. Aber das wird wohl noch eine ganze Weile dauern.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Geschichte des KZ Ladelund 

Im Konzentrationslager Ladelund wurden zwischen dem 1. November und dem 16. Dezember 1944 etwa 2000 Männer aus 12 Nationen gefangen gehalten.

Sie mussten unter katastrophalen Bedingungen Panzergräben ausheben, um eine weitere, von den Nazis befürchtete, Invasion der Alliierten abzuwehren. In diesen sechs Wochen starben 300 von ihnen an Hunger, Krankheiten und der Brutalität der Lageraufseher.

Nach Kriegsende sorgte Pastor Johannes Meyer für eine würdevolle Bestattung der Häftlinge des KZ Ladelund. Seit 1950 sind ihre Gräber eine Gedenkstätte. 1990 kam ein Gebäude mit Dauerausstellung hinzu.

Die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund ist die einzige KZ-Gedenkstätte bundesweit, die sich in kirchlicher Trägerschaft befindet. Sie wird von 3 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen betrieben, die von etwa 20 Ehrenamtler:innnen unterstützt werden.

Im Jahr 2023 besuchten etwa 3000 Menschen die Gedenkstätte.

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