„Gerechte unter den Völkern“: Yad Vashem ehrt Wilhelm und Elisabeth Jannasch
31. März 2022
Die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem hat das Ehepaar Wilhelm und Elisabeth Jannasch als „Gerechte unter den Völkern“ aufgenommen. Gemeinsam haben der Pastor und seine Ehefrau Juden und Christen jüdischer Herkunft während des Nationalsozialismus das Leben gerettet.
Sie übertraten dabei mehr als einmal die Grenzen zu illegalem Handeln und setzten sich einem hohen Risiko aus.
Wilhelm Jannasch (geboren 1888) war von 1914 bis 1934 Hauptpastor der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck. Zwei Jahrzehnte hat er die Gemeinde in der Lübecker Innenstadt geleitet, bis ihn die Lübecker Kirche unter Androhung von Strafe aus der Stadt warf. Ein Ölbild im Kirchraum zeigt den Theologen. Seine Tochter hatte es der Gemeinde vermacht.
Konsequente Ablehnung des NS-Staats
Bereits 1931 sprach sich Wilhelm Jannasch öffentlich gegen Antisemitismus aus. Den NS-Staat lehnte er konsequent ab. Seine offene Positionierung sorgte dafür, dass ihn die Lübecker Kirchenleitung im April 1934 mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand versetzte. 1935 wurde er für sieben Tage inhaftiert und musste Lübeck unter Androhung einer erneuten Verhaftung endgültig verlassen.
Mutiger Einsatz für das Leben anderer
Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt sagte angesichts dieser besonderen Ehrung: „Wilhelm und Elisabeth Jannasch haben sich trotz Gefahr für ihr eigenes Leben mutig für das Leben anderer Menschen und für Gerechtigkeit eingesetzt. Sie gaben damit damals und geben uns auch heute noch ein Beispiel dafür, was es heißen kann, sich aus dem christlichen Glauben heraus für die Würde und das Leben aller Menschen einzusetzen. Es berührt mich deshalb sehr, dass ihrer beider zukünftig in der Gedenkstätte Yad Vashem als ‚Gerechte unter den Völkern‘ gedacht wird."
Der Lebensweg von Wilhelm und Elisabeth Jannasch, ihr mutiger und offener Widerspruch zur nationalsozialistischen Ideologie und deren unverhohlenem Antisemitismus sowie die damaligen Reaktionen der Lübecker Kirche auf das Handeln von Ehepaar Jannasch zeigten aber auch, dass wir im Blick auf unsere Geschichte, auch in der Nordkirche, noch viel aufzuarbeiten haben, so die Landesbischöfin weiter.
Die selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit sind wir denen schuldig, die damals zu entrechteten Opfern gemacht, verfolgt und ermordet wurden. Zugleich ist sie auch Voraussetzung für die eigene Glaubwürdigkeit. Dem Wunsch nach Gedenken und Aufarbeitung werden wir nur nachkommen können, wenn wir uns der historischen Aufarbeitung stellen, sie aktiv mit betreiben und unterstützen und dabei auch die Frage nach Schuld und Verantwortung nicht ausklammern. Kristina Kühnbaum-Schmidt
Der Historiker Hansjörg Buss hat im Auftrag der Lübecker Aegdiengemeinde die Geschichte des Ehepaares Jannasch recherchiert. „Viele Einzelheiten sind heute nicht mehr bekannt, da aus verständlichen Gründen wenig Schriftliches hinterlassen wurde“, bilanziert Buss. Vor allem über Elisabeth Jannasch ist kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Es stehe aber außer Zweifel, dass sie die Aktivitäten ihres Mannes mitgetragen und aktiv unterstützt habe.
Versuch einer Wiedergutmachung
„Der Antrag in Yad Vashem ist der Versuch einer Wiedergutmachung angesichts des eigenen Versagens“, sagt Thomas Baltrock, der heute Pastor an St. Aegidien ist. „Wir wollen als Gemeinde hinschauen und endlich sichtbar machen, was Wilhelm und Elisabeth Jannasch getan haben – hier vor Ort in Lübeck ebenso wie in Berlin und Mainz.“
„Schon früh war die Lübecker Kirche von „christlichen“ Nationalsozialisten auf Kurs gebracht worden“, sagt Lübecks Pröpstin Petra Kallies. „Das Ehepaar Jannasch hat sich nicht nur um die jüdischen Mitbürger gekümmert sondern sich von Anfang an gegen diesen Kurs gestemmt – vergeblich und unter großem persönlichem Druck. Wir müssen uns als evangelische Kirche beständig mit unserer eigenen Rolle auseinander setzen, damit eine Vereinnahmung dieser Art nicht noch einmal passieren kann.“
Einsatz gegen Entrechtung und Verfolgung
Mehr zur Bekennenden Kirche: www.politische-bildung-brandenburg.dewww.nordkirche-nach45.de
Das Ehepaar Jannasch ging 1935 nach Berlin. Auch dort kritisierte Theologe den NS-Staat und trat nach der Reichspogromnacht für eine deutliche Kritik der Kirche an der Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Minderheit ein. Am 4. Juni 1936 gab Jannasch die bedeutende Denkschrift der Bekennenden Kirche „An den Führer und Reichskanzler“ persönlich in der Reichskanzlei ab.
1939 übernahm er das Pfarramt der Notgemeinde der Bekennenden Kirche in Berlin-Friedenau. Dort erhielten viele rassistisch Verfolgte Hilfe in Form von Unterkunft, Arbeit, Lebensmitteln, Seelsorge und weiterführenden Kontakten. Wilhelm und Elisabeth Jannasch waren in Rettungsnetzwerke zur Unterstützung von verfolgten Juden eingebunden.
1943 engagierte sich Wilhelm Jannasch gegen Gesetzespläne zur Zwangsscheidung sogenannter Mischehen. Dafür reiste unter anderem er nach Breslau, um gemeinsam mit dem katholischen Kardinal Adolf Bertram Gegenmaßnahmen der beiden großen christlichen Kirchen abzustimmen. Auch deswegen sollen die staatlichen Pläne nicht weiter verfolgt worden sein.
Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz
1946 wurde Wilhelm Jannasch auf Vermittlung von Martin Niemöller als Gründungsdekan und Professor für Praktische Theologie an die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz berufen. 1962 erhielt der Theologe für seine Haltung zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, seinem Wirken im Kirchenkampf und für seine Verdienste beim Aufbau der Mainzer Theologischen Fakultät das Große Bundesverdienstkreuz.
Wilhelm Jannasch starb am 4. Juni 1966 in Frankfurt, Elisabeth Jannasch starb am 6. Juni 1970 in Mainz.