NS-Zeit

Hinschauen und Erinnern: Gedenken an 85. Jahrestag der Reichspogromnacht

Stolpersteine, wie hier in Berlin am früheren Sitz des Auswärtigen Amts, erinnern an Opfer des Nationalsozialismus. An Orten, an denen sie zuletzt gewohnt oder gewirkt haben, werden kleine, quadratische Betonsteine mit einer Messingplatte mit den Lebensdaten ins Straßenpflaster eingelassen. Inzwischen gibt es rund 100.000 Stolpersteine in 24 europäischen Ländern.
Stolpersteine, wie hier in Berlin am früheren Sitz des Auswärtigen Amts, erinnern an Opfer des Nationalsozialismus. An Orten, an denen sie zuletzt gewohnt oder gewirkt haben, werden kleine, quadratische Betonsteine mit einer Messingplatte mit den Lebensdaten ins Straßenpflaster eingelassen. Inzwischen gibt es rund 100.000 Stolpersteine in 24 europäischen Ländern.© Jürgen Blume

06. November 2023

Mit der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit im Dritten Reich über. Synagogen und jüdische Gebetshäuser brannten, jüdische Bürger wurden misshandelt und getötet. Zum Gedenken an die Opfer der NS-Verbrechen wird vielerorts zu Andachten und Gedenkveranstaltung eingeladen.

Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass in der Nacht vor 85 Jahren mehr als 1.300 Menschen ermordet und mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder zerstört wurden.

Nordkirche widerspricht allen Formen von Antisemitismus

Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt hat sich zutiefst bestürzt und mit bedrängender Sorge darüber geäußert, dass sich Jüdinnen und Juden nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel in unserem Land erneut nicht sicher fühlen, dass antisemitische Vorfälle auch hier in Schleswig-Holstein zunehmen, dass sie bedroht werden. „Das alles ist unerträglich und in keiner Weise zu akzeptieren“.

Mehr: Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt: Nordkirche widerspricht allen Formen von Antisemitismus

Mehr: Video-Statement zum 9. November

Gedenken an 85. Jahrestag der Reichspogromnacht

Hamburg: Zu einer Gedenkveranstaltung laden die Stiftung Bornplatzsynagoge und die Jüdische Gemeinde in Hamburg ein. Sie findet am Donnerstag (9. November) von 16.30 bis 17.30 Uhr auf dem ehemaligen Bornplatz, dem heutigen Joseph-Carlebach-Platz, statt. Das Mitbringen von Kerzen ist erwünscht.

Der 9. November 1938 ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Mit Gedenkveranstaltungen und Andachten wird der Opfer vielerorts gedacht.
Der 9. November 1938 ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Gotteshäuser und andere Einrichtungen in Brand setzten. Mit Gedenkveranstaltungen und Andachten wird der Opfer vielerorts gedacht.© FreedomMaster, iStock

Gemeinsam Beten 

Sprechen werden unter anderem Bürgerschafts-Präsidentin Carola Veit, Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD), der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, die  Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs, Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer, Autorin Kirsten Boie und Journalist Deniz Yücel. Shlomo Bistritzky, Landesrabbiner der Stadt Hamburg, wird das hebräische Trauergebet El Male Rahamim sprechen.

Hamburger Fraktionen polieren Stolpersteine

Abgeordnete der demokratischen Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft wollen am Mittwoch (8. November, 11 Uhr) die 21 Stolpersteine vor dem Hamburger Rathaus reinigen. Beteiligen wollen sich Danial Ilkhanipour (SPD), Dominik Lorenzen (Grüne), Anke Frieling (CDU) und Deniz Celik (Linke).

Stolpersteine "größtes dezentrale Mahnmal der Welt"

Die Stolpersteine gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Die rund zehn mal zehn Zentimeter großen Gedenksteine aus Messing erinnern vor früheren Wohnorten an Menschen, die in der NS-Zeit verfolgt, erniedrigt oder ermordet wurden. Allein in Hamburg sind mehr als 6.300 Stolpersteine verlegt worden.

Das Jewish Chamber Orchestra Hamburg lädt am Donnerstag (19.30 Uhr) zu einer Gedenkveranstaltung an die Pogrome von 1938 in das Rolf-Liebermann-Studio des Norddeutschen Rundfunks (NDR) ein. Musikalische „Stolpersteine“ treffen auf Literatur über die Vernichtung der jüdischen Kultur, wie die Stadt Hamburg mitteilte. 

Musikalisches Gedenken im Rolf-Liebermann-Studio

Das Rolf-Liebermann-Studio befindet sich in einer ehemaligen Synagoge. Der Israelitische Tempel an der Oberstraße wurde bei den Novemberpogromen 1938 verwüstet und geschlossen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mietete der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk das Gebäude und baute es zum Konzertsaal und Studio um.

VELKD: Bestürzung über die "unheimliche Aktualität" des Gedenktags an die Reichspogromnacht

Zur Stellungnahme im Wortlaut (PDF)

Die Bischofskonferenz der VELKD hat sich bestürzt darüber gezeigt, dass zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht Jüdinnen und Juden in Deutschland erneut durch antisemitisch motivierte sprachliche und physische Gewalt bedroht werden:

"Die unheimliche Aktualität des Gedenktags veranlasst uns, eine Selbstverständlichkeit zu betonen: Jüdisches Leben muss in Deutschland unbeschwert möglich sein. Es ist unerträglich, wenn mitten in deutschen Großstädten antisemitische Parolen gegrölt und plakatiert werden, wenn Synagogen, jüdische Friedhöfe und Mahnmale polizeilich beschützt werden müssen, wenn jüdische Eltern Angst haben, ihre Kinder in Kitas und Schulen zu schicken", heißt es in dem Schreiben, das die 16 Mitglieder des Gremiums, darunter alle Landesbischöf:innen der sieben VELKD-Gliedkirchen, unterzeichnet haben.

Pogromgedenken in Mecklenburg-Vorpommern

In mehreren Orten in Mecklenburg-Vorpommern wird in der kommenden Woche an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht erinnert.

Schwerin: Auf dem Schweriner Schlachtermarkt plant der Arbeitskreis „9. November 1938“ nach eigenen Angaben am Donnerstag (9. November) ab 18 Uhr ein Gedenken mit Texten und Musik.

Gemeinsam mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov soll dabei ein Zeichen der Solidarität mit allen jüdischen Mitmenschen gesetzt werden.

Rostock: In Rostock ist am Freitag (10. November) eine Andacht (9.30 Uhr) auf dem Jüdischen Friedhof am Lindenpark mit anschließendem Spaziergang zur Gedenkstele für die frühere Synagoge (Augustenstraße 101) geplant. Dort findet um 10 Uhr eine Gedenkveranstaltung statt. Dabei soll auch an die in den Morgenstunden des 10. November 1938 in Brand gesetzte Synagoge erinnert werden. Schülerinnen und Schüler des Innerstädtischen Gymnasiums werden die Namen der Rostocker Opfer des Holocaust verlesen.

Greifswald: Zum Gedenken laden die Kommune, der Arbeitskreis „Kirche und Judentum“ und die Evangelische Studierendengemeinde in Greifswald am 9. November zu zwei Veranstaltungen ein.

Um 13 Uhr gibt es eine Andacht am Ort des ehemaligen Betsaals der jüdischen Gemeinde in der Mühlenstraße 1. Um 17 Uhr beginnt im Bürgerschaftssaal des Rathauses eine Vortragsveranstaltung mit dem Greifswalder Theologen Andreas Ruwe. Er wird seine Forschungsergebnisse über den jüdischen Friedhof in Niederhof bei Stralsund vorstellen, der von 1776 bis 1850 für Bestattungen verstorbener Jüdinnen und Juden aus ganz Vorpommern genutzt wurde.

Feldberg: Die Kirchengemeinde Wanzka lädt am 9. November um 17.30 Uhr zum Gedenken auf den jüdischen Friedhof in Feldberg (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) ein.

Güstrow: Die Dom- und Pfarrgemeinden und die Initiative Jüdisches Gedenken laden am selben Tag in Güstrow (Landkreis Rostock) um 16 Uhr zur Andacht vor der ehemaligen Synagoge in Krönchenhagen 16 ein. Eine Gedenktafel soll eingeweiht werden.

Ribnitz-Damgarten: In Ribnitz-Damgarten (Landkreis Vorpommern-Rügen) soll am 9. November ein gemeinsamer Weg zu den Stoplersteinen der Stadt führen. Treffpunkt ist um 17 Uhr bei der Marienkirche.

Friedensgebete und Andachten

Stralsund: In der Hansestadt Stralsund sind am selben Tag zwei Gedenkstunden geplant. Die erste beginnt um 15 Uhr auf dem jüdischen Friedhof in der Greifswalder Chaussee, die zweite um 17 Uhr an der Stele am Johanniskloster. Anschließend gibt es ein Friedensgebet in der Stralsunder Marienkirche.

Garz: In Garz auf Rügen soll das jährliche Gedenken an den Stolpersteinen der jüdischen Kaufmannfamilie Cohn um 19 Uhr an den Stolpersteinen für Arthur, Thekla und Ludwig Cohn vor dem Gemeindehaus in der Langen Straße 34 beginnen. Eine Friedensandacht im Gemeinderaum folgt.

Wismar: In Wismar (Landkreis Nordwestmecklenburg) sollen am 9. November Stolpersteine gereinigt werden durch Schülerinnen und Schüler des Wismarer Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums sowie Menschen, die Patenschaften für Stolpersteine übernommen haben.

Mahnveranstaltung in Kieler Synagoge

Kiel: Am 9. November wird die Landeshauptstadt Kiel mit einer Mahn- und Gedenkveranstaltung und einem Stadtrundgang an die Verbrechen der Reichspogromnacht erinnern. Die Veranstaltung findet um 11.30 Uhr am Mahnmal der ehemaligen Kieler Synagoge (Goethestraße/Ecke Humboldtstraße) statt.

Musikalisch begleitet wird die Gedenkfeier von Ishay Lantner auf der Klarinette und von Alexander Wernet auf dem Akkordeon. Im Anschluss wird um 12.30 Uhr ein kostenloser Stadtrundgang zum Thema „Kiel im Nationalsozialismus“ angeboten.

Lesung in Flensburg mit Besuch der Ministerin

Flensburg: Zur Erinnerung an die Opfer der Pogromnacht lädt die Gemeinde St. Nikolai in Flensburg am 9. November um 18 Uhr zu Musik und Gedicht-Lesungen von Selma Meerbaum-Eisinger ein. 

Zu Gast ist die Bildungsministerin Karin Prien. Mitglieder des St. Nikolai Chores singen Werke von Jan Sandström, Louis Lewandowski und Sid Robinowitch. Mitwirkende sind außerdem der Jugendchor von St. Nikolai und Schüler:innen der Eckenerschule.

Null-Toleranz für Antisemitismus

Im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg haben Pröpstin Rebecca Lenz und Propst Helgo Jacobs anlässlich des Gedenktages Stellung zu aktuellen antisemitischen Entwicklungen bezogen: Sie sprechen sich "mit aller Deutlichkeit gegen jede Form von Antisemitismus und Judenhass in unserem Land und weltweit aus" heißt es in einer Mitteilung des Kirchenkreises.

Außerdem fordern sie alle Menschen dazu auf, Zivilcourage zu zeigen und keinerlei antisemitische oder rassistische Äußerungen zu dulden. Die ganze Nachricht lesen Sie hier. 

Hinschauen und Erinnern: Abendandacht in Karlum

Karlum: In der evangelischen Kirche St. Laurentius in Karlum (Kreis Nordfriesland) am 9. November (19 Uhr) eine Abendandacht statt. Der Freundeskreis der Kirche lade damit gemeinsam mit der Kirchengemeinde zum Hinschauen und Erinnern ein. Musikalisch umrahmt werde die Andacht von Rainer Rafalsky (Orgel) und Christoph Schmidt (Geige).

Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 begannen im nationalsozialistischen Deutschland direkte und gezielte Gewaltaktionen gegen die jüdische Bevölkerung, wie die Bundeszentrale für politische Bildung auf ihrer Internetseite informiert. „Sie waren der Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung des europäischen Judentums, der Anfang des Holocaust“, heißt es.

In der Reichspogromnacht seien jüdische Geschäfte geplündert und zerstört, Synagogen niedergebrannt worden. „Die Polizei griff nicht ein, nur wenige Menschen trauten sich, ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen. In dieser Nacht starben mehr als tausend Juden. 30.000 Menschen wurden verhaftet und verschleppt.“

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