Hungerblockade Leningrad: Die Hälfte der Bevölkerung starb
25. Januar 2022
Zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar zeigt der Kieler Flandernbunker eine Ausstellung über die Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Ein Zeitzeuge spricht über seine schlimmsten Erinnerungen.
Es ist der Geruch des verbrannten Zuckers des Lebensmittellagers, der Ilja Zuckermann bis heute verfolgt. Der russische Arzt überlebte als Kind die Belagerung Leningrads. Damals war er sieben Jahre alt und litt unvorstellbaren Hunger.
Jahrelanger Überlebenskampf
Die Blockade Leningrads durch die Nazis dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Schon zu Beginn des Oktobers 1941 begann die Hungersnot. Lebensmittelkarten wurden ausgegeben. Die Einheimischen kämpften um ihr Überleben, zuerst aßen sie die Tiere, schließlich auch die Toten. Eine Million Menschen starben an Hunger und Kälte – etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung.
„Ich kann mich an vieles erinnern. Es war schrecklich“, sagte Zuckermann und deutete auf eine Bildtafel in der Ausstellung. Sie zeigt die Lebensmittelabgabe während der Hungerblockade durch die Nazis. 125 Gramm wurden an Kinder ausgegeben, 250 Gramm an Arbeiter.
Wissen über Hungerblockade muss weitergegeben werden
Zuckermann kritisierte, dass über die bestialische Belagerung Leningrads, dem heutigen St. Petersburg, zu wenig in den Schulen gesprochen werde. Deshalb müssten es die wenigen Überlebenden tun, sagte er. Der Jüdischen Gemeinde in Kiel gehören außer ihm noch sechs weitere Überlebende der Leningrader Blockade an. Weltweit sind es noch einige Tausend. Am Kragen seines Jackets trägt Zuckermann eine kleine, runde Plakette mit der Leningrader Stadtsilhouette. Das Abzeichen wurde jedem Überlebenden verliehen. Es sei seine wichtigste Medaille, so Zuckermann.
In der Ausstellung „Niemand wird vergessen und nichts wird vergessen“ sind Bilder von ausgemergelten Menschen und Leichenberge zu sehen. Die Texte sind auf russisch und deutsch. Im Zentrum der Schau steht eine Raum-Klang-Installation der Kunststudentin Roma-Nastasia Nebel.
Verbrechen an Kindern
Besonders schlimm seien auch die Lager rund um Leningrad gewesen, in denen die Nazis russische Kinder hielten, so Zuckermann. Um die Soldaten an der Front zu versorgen, wurde den Kindern Blut abgenommen – so lange, bis sie schließlich starben. Zuckermann selbst hatte Glück: Mit seiner Kindergartengruppe wurde er 1942 in ein kleines Dorf evakuiert. Später machte er in Russland Abitur, studierte Medizin und wurde Onkologe.
Dass er seit 1996 ausgerechnet in Deutschland lebt, ist laut Zuckermann Zufall. Bei seiner Arbeit in der Krebsforschung verbrannte er sich die Augen. In Russland habe man ihm nicht helfen können, wohl aber in Kiel. Nach drei Operationen könne er wieder gut sehen und brauche keine Medikamente mehr. Zuckermann: „Dafür bin ich sehr dankbar.“