Junge Nordkirche: Suizid-Thematik muss raus aus der Tabuzone
06. September 2024
Am 10. September wird weltweit der Tag der Suizidprävention begangen. Die Junge Nordkirche ist Teil eines neuen Hamburger Netzwerkes, das über Selbsttötungen aufklären möchte. Ziel ist es, Suizidgefährdeten und ihren Angehörigen frühzeitig zu helfen. Doch dafür braucht es nicht nur Beratungsstellen, sondern auch eine höhere Sensibilität in der Öffentlichkeit.
Bis heute sind Selbsttötungen in der gesellschaftlichen Tabuzone. Sie finden kaum Beachtung in öffentlichen Debatten. Auch im privaten Kreis fällt es Menschen oft schwer, ihre Sorgen in Bezug auf mögliche Gefährdungen von Freunden und Angehörigen zu formulieren.
Reden hilft
Dahinter steckt oft die Angst, das Leid von Suizidgefährdeten durch eine unbedarfte Reaktion noch zu verschlimmern, sagt Katrin Meuche, Referentin für Beratung und Seelsorge bei der Junge Nordkirche.
"Die Vorstellung, dass das Reden über Suizidalität bei den Betroffenen den Wunsch zu sterben, verstärkt, ist weit verbreitet", erklärt sie. In Wirklichkeit sei genau das Gegenteil der Fall: Reden hilft. Zumindest dann, wenn es um eine echte Auseinandersetzung mit den Beweggründen der Betroffenen geht.
Chatseelsorge schafft ein Ventil
Die Junge Nordkirche hat mit schreibenstattschweigen.de in der Corona-Krise ein Chat-Seelsorge-Format entwickelt, das speziell jungen Menschen im Alter von 14-27 Jahren anonym und vertraulich eine Anlaufstelle bietet, über Belastendes zu reden. Immer montags, dienstags mittwochs und donnerstags zwischen 18 und 20 Uhr können sie mit psychologisch geschulten Ehrenamtlichen chatten.
Die Themen umfassen vieles – angefangen von Mobbing über Liebeskummer, bis hin zu Depressionen, Angst und Trauer. In Zukunft ist dieses Seelsorge-Angebot ein Baustein des neu angelegten Hamburger Suizidpräventionsnetzwerks, das noch viele weitere Akteure umfasst.
Netzwerk will Angebote bekannter machen
Dazu zählen unter anderem der katholische Frauenverband In Via mit der Mailberatung U25, die katholische Telefonseelsorge der Caritas, die Hamburger Sozialbehörde, das Universitätsklinikum Eppendorf, die Medical School sowie verschiedene Hospizdienste und Vereine, die Suizidgefährdeten oder ihren Angehörigen helfen.
"Es geht darum, Angebote besser zugänglich zu machen. Und dafür braucht es eine Entstigmatisierung des Themas", so Meuche. "Wir erleben, dass das Sprechen über Suizidalität und die dazugehörigen Hilfsangebote sehr entlastend wirken kann."
Anzahl der Suizide ist hoch
Denn fest steht: Suizidale Gedanken und Taten sind keine Ausnahme. Allein in Hamburg nehmen sich jede Woche etwa fünf Menschen das Leben, und bis zu 20 mal so viele versuchen es, berichtet Katrin Meuche.
Bundesweit haben 2022 laut Statistik des Nationalen Suizidpräventionsprogramm und der Deutschen Akademie für Suizidprävention Deutschland mehr als 100.000 Menschen einen Suizidversuch unternommen. 10.119 starben durch Suizid. Damit liegt die Zahl der Selbsttötungen in Deutschland erstmals seit 2015 wieder über 10.000.
Doch wie kann man helfen, wenn man das Gefühl hat, dass jemand gefährdet ist? "Auf jeden Fall ansprechen und erste vage Hinweise ernst nehmen!" lautet der Rat der Expertin. Am besten sei es, nicht durch die Blume, sondern ganz konkret nachzuhaken: "Nennen Sie die Dinge beim Namen", empfiehlt Meuche.
Betroffene nehmen Tod als letzten Ausweg wahr
In der Seelsorge erlebten ihren Kolleginnen und Kollegen immer wieder, dass Menschen mit suizidalen Gedanken, das Gefühl haben, einem schier unüberwindbaren Berg an Problemen gegenüberzustehen. Meist stehe beim Gedanken an die Selbsttötung in erster Linie der Wunsch nach einer Beendigung des Leids im Vordergrund, nicht aber der Wunsch das eigene Leben aus freien Stücken zu beenden.
Wer auf offene Ohren trifft, kann seinen widerstreitenden Gefühlen Raum geben, so Katrin Meuche. Reden bedeute aller Erfahrung nach ein Ventil, das Entlastung schafft und den unglaublichen Druck, unter dem Suizidgefährdeten stehen, lindert. Über Maßnahmen, die Angehörige treffen können, klärt das Frankfurter Netzwerk Suizidprävention hier auf seiner Website auf.
Viele Akteure bilden breites Netz
In der Seelsorge könne es beispielsweise helfen, den- oder diejenige zu fragen, was ihm oder ihr in guten Zeiten Halt gegeben habe. Die Chatseelsorge sei in Sachen Prävention aber nur eine erste Anlaufstelle. Sie vermittle bei Bedarf an Fachstellen wie dem psychosozialen Dienst oder Kliniken.
Generell sei es wichtig, viele verschiedene Akteure aus unterschiedlichen Fachgruppen in die Prävention einzubinden, um Betroffenen möglichst frühzeitig und niedrigschwellig helfen zu können. Vor allem gehe es darum, Menschen nicht allein zu lassen.