Kirchen aus DDR-Zeit: Kreativ und pragmatisch
06. September 2023
„Kirchen für neue Städte“ heißt ein Studientag, der sich in Greifswald mit dem spät- und postmodernem Kirchenbau in Ostdeutschland beschäftigt. Die Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann sagt, wie Kirchen in der DDR bestehen konnten und warum einige Modelle dieser Zeit heute als Vorbild dienen.
Aus dem Kirchenbau in Ostdeutschland in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren lassen sich nach Ansicht der Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann wertvolle Erfahrungen für heute ziehen. „Oft bieten gerade die Kirchen, die in der späten DDR-Zeit errichtet oder umgestaltet wurden, bereits ein hohes Maß an Flexibilität“, sagte Berkemann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Greifswald.
Die Theologin und Kunsthistorikerin organisiert den 7. und 8. September in Greifswald stattfindenden Studientag „Kirchen für neue Städte“ über den spät- und postmodernen Kirchenbau in Ostdeutschland.
epd: Der Studientag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Experiment Moderne“, die die Arbeitsgemeinschaft „Kirche und Kulturerbe“ der Theologischen Fakultät an der Universität Greifswald veranstaltetet. Wieso?
Karin Berkemann: Zum einen wollen wir den Forschenden, die bei uns zu Gast sind, nicht nur Vorträge bieten, sondern räumliche Erfahrungen. Zum anderen ist es uns wichtig, die Themen in die Stadt zurück zu spiegeln, damit die Bürgerinnen und Bürger auch etwas von unserer Veranstaltung haben. Denn mit der spätmodernen Seite der Hansestadt hat man sich vor Ort bislang kaum auseinandergesetzt, dabei kann Greifswald so viel mehr als Backsteingotik.
Kirchen als Stachel im Fleisch
Was macht den Kirchenbau der 1970er und 1980er Jahre in Ostdeutschland aus? Was ist das Besondere?
In der staatlichen Ideologie war es erklärtes Ziel, die Religion zu überwinden. Außerdem wollte die DDR-Regierung umfassend alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens kontrollieren. Da waren die Kirchen ein Stachel im Fleisch, denn sie blieben nicht nur rechtlich eigenständig, sondern auch große Grundbesitzerinnen und Arbeitgeberinnen. Zudem standen sie über die ganze DDR-Zeit hinweg im engen Kontakt mit Westdeutschland.
Speziell Kirchenbauten waren für die offiziellen Stellen immer ein wenig schwierig, denn sie standen für etwas, was eigentlich nicht sein durfte. Einige wurden abgerissen, viele konnten nicht saniert werden - und Neubauten waren nur sehr selten möglich.
Kirchensanierung nur gegen West-Devisen
In den 1970er Jahren, mit dem Amtsantritt von Erich Honecker, öffnete sich hier eine Tür, denn die DDR verfolgte wirtschaftliche Interessen. Mit dem Sonderbauprogramm ließ der Staat den Neubau und die Sanierung von Kirchen zu, gegen Devisen aus dem Westen. Nach außen wirkte man so religiös tolerant, nach innen begründete man den Schritt damit, auf diesem Weg die religiösen Gemeinschaften besser kontrollieren zu können.
In dieser Zeit kamen auch die Winterkirchen in der DDR auf?
Das Modell der Winterkirchen ist nicht neu – man trennt einen Raum zum Beispiel unter der Empore ab, der sich leichter beheizen lässt. In der Bundesrepublik verschwanden solche Lösungen aber meist mit dem Bauboom der 1950er und 1960er Jahre. In der DDR hingegen wurde immer sichtbarer, dass die kleiner werdenden Kirchengemeinden alleine ihre großen Räume nicht halten konnten.
Westen greift Idee der Winterkirche später auf
Aus der Not wurde eine Tugend: Durch den Einbau von Winterkirchen ließen sich unterschiedliche Nutzungen, verschiedene Akteurinnen und Akteure unter einem Dach vereinen. Dieses Modell wurde in den 1980er Jahren dann in der Bundesrepublik wiederentdeckt. Nun galten die Kirchengemeinden in der DDR als Vorreiterinnen, mit historischen Räumen kreativ umzugehen.
Wie wichtig sind die Kirchengebäude dieser Zeit im Osten heute noch? Was können Kirchengemeinden aus dieser Zeit lernen?
Erst einmal ist die Situation heute eine andere, denn wir leben in einer Demokratie, in der religiöse Gemeinschaften frei agieren können. Aber eine Erfahrung ist ähnlich: Die christlichen Gemeinden werden kleiner und suchen dringend pragmatische Lösungen, um neues Leben und verschiedene Nutzungen in einem Kirchenraum zu ermöglichen. Gefragt sind nicht aufwändige und teure, sondern im besten Wortsinn einfache Lösungen.
Die Kernfrage ist, wie sich dafür Menschen mobilisieren lassen. Im ländlichen Raum können sich die meisten ihr Dorf nicht ohne den Kirchenturm vorstellen. Und in der Stadt verlieren wir immer mehr Freiräume, in denen man sich treffen und entfalten kann. Aber wir brauchen öffentliche Orte jenseits der Kommerzialisierung, und Kirchen eignen sich besonders gut dafür.
Ostkirchen weisen hohe Flexibilität auf
Wir können es uns nicht leisten, diese – sozial, ökologisch und historisch – wertvolle Ressource ungenutzt zu lassen. Oft bieten gerade die Kirchen, die in der späten DDR-Zeit errichtet oder umgestaltet wurden, bereits ein hohes Maß an Flexibilität.
Genau das wollen wir mit unserer Veranstaltungsreihe erreichen: den Blick für die Geschichte schärfen und vieles entdecken, von dem wir auch heute profitieren können.