Landesbischöfin: „Digitalität ermöglicht mehr Beteiligung – und das gehört ganz wesentlich zu unserer reformatorischen Tradition“
17. November 2021
Die nächste Landessynode beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel. Für Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt eröffnet dieser Wandel neue Möglichkeiten des Zuhörens und der Teilnahme. Gerade als Kirche, ist sie überzeugt, sollten wir religiöse Formen nicht allein auf körperliche Anwesenheit reduzieren.
Frau Landesbischöfin, lassen Sie uns mit einer provokanten Frage beginnen: Warum muss die Nordkirche digital werden? Könnte sie nicht auch ohne Digitalisierung überleben?
Lassen Sie mich darauf ebenso provokant antworten: Die Nordkirche muss nicht digital werden, denn sie ist es ja schon. Aber: Sie wird noch nicht so wahrgenommen, und deshalb soll sie noch digitaler werden. Überleben würde die Nordkirche natürlich auch ohne Digitalisierung – aber sie verlöre zukünftig an Sichtbarkeit und würde in der breiten Öffentlichkeit wahrscheinlich sehr viel weniger Bedeutung haben.
Sie sind seit 2019 Landesbischöfin, haben ihr Amt kurz vor der Corona-Pandemie angetreten. Wie haben sie den Digitalisierungsschub erlebt, der uns allen mehr oder weniger aufgezwungen wurde?
2019 war ich – zugegeben – ziemlich erstaunt, dass es doch eine Reihe von Personen gab, die sich eher nicht mit der digitalen Welt auseinandersetzen wollten. Für mich, die schon lange und überzeugt auch digital unterwegs ist und die Sozialen Medien zur Kommunikation unserer Anliegen nutzt, war das relativ überraschend. Corona hat aber in dieser Hinsicht einiges bewirkt: Viel mehr Menschen entwickelten schnell eine sehr viel größere Affinität zur Digitalität, die (bisherige) Digitalisierung der Nordkirche wurde sichtbarer, und – sehr wichtig – ihre Relevanz wurde breit anerkannt.
Sie machen sich persönlich für die Digitalisierung der Nordkirche stark. Warum eigentlich?
Weil wir als Kirche im digitalen Raum, in dem sich viele Menschen heute selbstverständlich bewegen, noch besser wahrnehmbar werden müssen.
Digitalität bedeutet ja nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle Veränderung: In unserer Gesellschaft sind Partizipation und Teilhabe wichtige Themen geworden, Menschen fordern zu Recht Beteiligung und Mitbestimmung ein, insbesondere dann, wenn sie sich ehrenamtlich engagieren.
Viele Kommunikationsflächen werden partizipatorischer, dialogischer und transparenter – und diese Erwartung haben Kirchenmitglieder, Mitarbeitende, und andere Menschen auch an uns als Kirche. Vor allem aber ergeben sich durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten des Gesprächs und des Dialogs, insbesondere mit Menschen, die bisher eher weniger Kontakt zur Kirche haben. Genau diese aber brauchen wir, um unseren Auftrag – die Verkündigung des Evangeliums – weiter gut erfüllen zu können.
Können Sie das näher erklären?
Denken Sie nur an die Sozialen Medien: Dort suchen auch Menschen das Gespräch zu religiösen Fragen, die sich nicht an traditionellen Formen des kirchlichen Lebens beteiligen. Aber dort „im Netz“ bringen sie sich ein, werden gehört, erfahren Resonanz – und damit meine ich nicht nur christliche Influencer*innen!
Diese Beteiligung beeinflusst auch die religiöse Kommunikation und braucht unsere Aufmerksamkeit und Beteiligung. Außerdem verändert eine breitere Beteiligung von Menschen in der Kirche, z.B. bei anstehenden Entscheidungen wie in unserem Zukunftsprozess, auch uns selbst als Organisation: wir werden diverser und transparenter.
Digitalisierung der Nordkirche also aus gesellschaftlicher Notwendigkeit?
Zuallererst um unseres Auftrages willen. Ein anderer Motor der Digitalisierung ist die Verwaltung. Unsere Verwaltungsabläufe, so lauten die ersten Rückmeldungen im Zukunftsprozess, sind teilweise zu kompliziert, es gibt Doppelstrukturen. Die sollten wir abbauen, um schneller, effizienter und ressourcenschonender arbeiten zu können.
Wollen wir Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse digitalisieren, müssen wir sie visualisieren, um sie zu verstehen. Dadurch werden Abläufe und ggf. auch Doppelstrukturen sichtbar – wer ist wann, wie und wo beteiligt. Digitalisierung ermöglicht es uns als Organisation, transparenter, schlanker und präziser zu arbeiten.
Das ist ein großer Eingriff in die kirchlichen Organisationsstrukturen…
Digitalisierung ist nicht nur Technik und Social Media. Sie beinhaltet eine „Kultur der Digitalität“, wie ich es in Anknüpfung an Soziologinnen und Soziologen nenne. Dazu gehört insbesondere Partizipation. Menschen, denen das analog bisher nur schwer möglich war - beispielsweise weil sie zu weit von unseren größeren Zentren entfernt leben - können sich heute weitaus besser in unseren Entscheidungsgremien beteiligen. Und auch schnell und unkompliziert zusammenarbeiten, gute Ideen auszutauschen, sich gegenseitig stärken und unterstützen.
Vergessen wir nicht: Die Beteiligung aller ist tief in der Tradition unserer evangelischen Kirche verankert – denken Sie nur an den reformatorischen Gedanken des allgemeinen Priestertums. Es ist doch ein schöner Gedanke, dass wir über die Digitalisierung neu zurück zu diesen Wurzeln kommen.
Wie erleben Sie selbst als Landesbischöfin die Digitalisierung bzw. digitale Kirche?
Die Sozialen Netzwerke und die Digitalisierung eröffnen mir zusätzlich zu meinen vielen analogen Begegnungen neue Möglichkeiten, zuzuhören und noch besser zu verstehen, welche Themen die Menschen bewegen und was sie dazu denken. Zum Beispiel gab es im Januar eine rege öffentliche Debatte zum Thema „Assistierter Suizid – in kirchlichen Einrichtungen?“.
Als Landesbischöfin habe ich dazu zu einer digitalen Veranstaltungsreihe eingeladen - vier Abende zum Gespräch mit hochkarätigen Referentinnen und Referenten, einer davon aus Wien. Binnen kürzester Zeit hatten sich für jeden Abend um die 70 Personen als Teilnehmende angemeldet und viele standen jeweils auf der Warteliste. Stellen Sie sich vor, wie lange es gedauert hätte eine solche Veranstaltungsreihe vor Ort zu organisieren und wie aufwändig es gewesen wäre, daran teilzunehmen! So aber konnten wir schnell reagieren und unkompliziert in eine breite Diskussion einsteigen.
Sie hatten sogar beim Hansebarcamp dieses Jahr eine eigene Session mit dem Titel „How are you, digitale Kirche?“
Ja, ich freue mich sehr über dieses Format des Hansebarcamps! Und ich bin sehr dankbar für die vielen, meist jungen Leute, die die digitale Kirche ermöglichen. Der regelmäßige Austausch mit ihnen öffnet mir das Herz, ich freue mich über ihre Offenheit - sie alle schenken mir und uns allen einen weiteren, bunteren Blick auf unsere Kirche und religiöse Themen.
Bei all der Digitalisierung – wo bleiben da die „Kirche vor Ort” und die Spiritualität?
Sie sind präsent – denn digitale und analoge Formen ergänzen einander! Es ist gut, wenn sie in ein Wechselspiel miteinander treten. Denken Sie zum Beispiel an jene Menschen, die sich im Netz treffen, um gemeinsam zu beten oder religiöse Themen zu besprechen. Die digitale Kirche kann dort zu einem ersten, niederschwelligen Kontakt mit unserer Gemeinschaft oder einer konkreten Gemeinde führen. Das Netz ermöglicht es, sich einem kirchlichen Angebot erst einmal „auf Distanz“ anzunähern.
Aber auch das ist bei aller Digitalisierung für mich ganz klar: Wir sind leibliche Wesen, die den unmittelbaren Kontakt miteinander suchen und brauchen. Deshalb ersetzen digitale Formen niemals das gemeinsame Erleben in einem Raum oder ganz elementare, sinnliche Erfahrungen und Zeichen – das Taufwasser auf dem Kopf eines Kindes, das geht einfach nicht digital! Und zugleich glauben wir als Christen und Christinnen an einen Gott, der als körperlich Abwesender dennoch anwesend, mitten unter uns ist, der geistesgegenwärtig da ist. Deswegen sollten wir auch Glauben und Teilnahme in der Kirche nicht ausschließlich auf körperliche Anwesenheit reduzieren.
Frau Landesbischöfin, herzlichen Dank für das Gespräch.