Letzte-Hilfe-Kurse: Über das Sterben reden
24. November 2023
Letzte Hilfe: Gemeint ist damit das Umsorgen von schwerkranken und sterbenden Menschen am Lebensende. Der Palliativmediziner Dr. Georg Bollig ist überzeugt davon, dass man dazu keine langwierige Fachausbildung benötigt. Welche Ziele er mit dem Konzept der Letzte-Hilfe-Kurse verfolgt und warum sie so notwendig sind, erzählt er im Interview.
Dr. Georg Bollig bietet seit mehreren Jahren "Letze-Hilfe-Kurse" in Schleswig an und gilt damit als Vorreiter in der Versorgung von Sterbenden und ihren Angehörigen.
Herr Dr. Bollig, wie entstand die Idee zu den Letzte-Hilfe-Kursen?
Dr. Georg Bollig: Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Erste-Hilfe-Ausbilder, habe mir als Rettungssanitäter mein Medizinstudium finanziert und bin dadurch in die Beschäftigung mit den Themen Schmerzen, Sterben und Tod gekommen. Für mich gibt es eigentlich keinen Unterschied zwischen Erster und Letzter Hilfe.
Leute bereiten sich mit Erste-Hilfe-Kursen auf schwierige Situationen vor. Das kann man mit Letzter Hilfe auch. Beides bedarf praktischer Fähigkeiten wie auch einer Haltung. Deshalb liegt es so nah beieinander. Für mich ist die Grundlage Mitmenschlichkeit. Ich habe einfach Lust, anderen Menschen zu helfen. Und ich glaube, das kann jeder.
Letzte Hilfe ist also mehr als die praktische Anwendung von Hilfestellungen und Handhabungen?
Für mich ist das gelebte Mitmenschlichkeit: Ich helfe anderen, so gut ich kann. Wir haben eine gesetzliche Verpflichtung zur Ersten Hilfe: Wenn ich es nicht mache, werde ich bestraft. Man hilft auch, wenn man kein Experte oder Notarzt ist.
Hier findet sich eine Broschüre der Nordkirche mit vielen Informationen zum Thema Tod und Sterben.
Genauso wie man als Ersthelferin oder -helfer an der Unfallstelle hilft, kann man als Letzthelfer Leiden lindern. Das ist manchmal wesentlich einfacher, als man es sich vorstellt. Bei den Letzte-Hilfe-Kursen lernt man zum Beispiel, wie man mit Mitteln, die man im eigenen Haushalt hat, Leiden milden kann.
Ich erlebe es häufig, das Kursteilnehmende anschließend nach Hause gehen und sich wieder auf ihr Bauchgefühl verlassen. Der Kurs gibt ihnen die Bestätigung, dass sie ihre vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten anwenden dürfen.
Sehr viele Menschen könnten mit Unterstützung von Hausärzten und Pflegediensten ihre sterbenden Angehörigen versorgen und begleiten. In Fachkreisen heißt es, dass circa 10 - 15 Prozent der Sterbenden Spezialisten bräuchten. Das bedeutet auf der anderen Seite, dass 85 - 90 Prozent ohne Spezialisten auskommen würden. Da setzt die Letzte Hilfe an. Ich glaube, dass wir ganz viele Sterbende nicht im Krankenhaus behandeln müssten. Die Menschen darin zu bestärken, ist mir wichtig.
Was zeichnet die Letzte-Hilfe-Kurse aus?
Die Kurse sind für jede oder jeden gedacht, das heißt, die Schwelle, mitzumachen, ist sehr niedrig angelegt. So nimmt ein solcher Kurs beispielsweis nur rund vier Stunden in Anspruch. Er ist zudem gut strukturiert und klar angelegt. Und neben dem praktischen Wissen für zuhause wird auch vermittelt, wo man Unterstützung und Hilfe erhalten kann, was lokal vorhanden ist an Palliativteams, Hospizen unter anderem.
Tod und Sterben, insbesondere das eigene Sterben sind in Familien ja oftmals Tabuthemen.
Mega-Tabuthemen. In Kursen für Kinder und Jugendliche erleben wir, dass jungen Menschen viel offener damit umgehen als Erwachsene. Und bei erwachsenen Kursteilnehmenden beobachte ich, dass sie innerhalb des Kurses, nach zwei, drei Stunden, lernen, über das Thema zu reden, sich trauen. Oftmals braucht es diesen Zündfunken, um zu merken, dass man über das Sterben reden kann.
Was passiert, wenn wir nicht über das Sterben reden?
Auf der Internetseite der „Letzte Hilfe Deutschland gGmbH“ finden sich Termine und Informationen zu den Letzte-Hilfe-Kursen.
Wenn es um wichtige Entscheidungen am Lebensende geht, verlassen sich Betroffenen oft darauf, dass sich ihre Angehörigen um eine gute Behandlung kümmern. Es stellt sich aber heraus, dass die Angehörigen oftmals Angst haben, zu entscheiden und beispielsweise Scheu vor juristischen Konsequenzen haben.Wenn der Notarzt vor der Tür steht und man nicht weiß, was gemacht werden soll, ist der Weg meist Lebensverlängerung, Beatmungsmaschine, Intensivstation und so weitert. Ganz viele sagen: Das hätte man gar nicht gewollt.
Wir brauchen es also, über das Sterben zu reden. Denn wie oft passiert es, dass man tatsächlich Erste Hilfe leisten muss? Doch jemanden beim Sterben zu begleiten oder dabei zu sein, wenn jemand im engeren Umfeld stirbt, das werden wir alle erleben.
Warum bezeichnen Sie Ihre Kurse als „Lernendes System“?
Von Anfang an habe ich die Teilnehmenden gebeten, Fragebögen zu den Kursen auszufüllen. Die Ergebnisse helfen mir als Palliativmediziner und Forscher, wichtige Erkenntnisse für meine Arbeit zu gewinnen. Eine wichtige Aussage war beispielsweise, dass der Kurs sehr vielen der Teilnehmenden Sicherheit gegeben hat.
Eine Pilotstudie mit Kindern im Alter von acht bis 16 Jahren hat gezeigt, dass sehr viele von Ihnen bereits Berührung mit Tod und Sterben hatten und es durchaus sinnvoll ist, ihnen einen guten Umgang damit nahezubringen. Besonders für Kinder ist es wichtig zu erfahren, was sie beitragen und wie sie Mitmenschlichkeit zeigen können. Ich habe Hinweise und Anzeichen in meinen Forschungen gefunden, dass Kinder nach einem Kurs empathisch miteinander umgegangen sind. Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft werden normaler.
Vielleicht kann das auch zu einer menschlicheren Gesellschaft führen. Das wäre mein Wunsch.