Liebe kennt keine Mauern: Eine deutsch-deutsche Geschichte
01. Oktober 2024
Eine Kinderkrankenschwester aus der DDR und ein Theologiestudent aus der BRD verlieben sich 1982. Bis sie heiraten können, müssen sie so einiges an Schikanen des SED-Regimes ertragen. Aufhalten lassen sich sich davon jedoch nicht. Heute teilt das Paar seine Geschichte, um anderen Christ:innen Mut zu machen.
Anfangs schickte Familie Bernhausen aus Stuttgart Pakete mit Nahrungsmitteln in die DDR. Doch irgendwann wollten sie auch die Menschen kennlernen, die ihre Unterstützung erhielten. Und so kündigten sie ihren Besuch bei Familie Greiner im thüringischen Steinach an.
Die Stasi mischt sich ein
Für den Sohn der Familie Jahn, Siegfried, und die Tochter der Familie Greiner, Dagmar, war es Liebe auf den ersten Blick. Schon bald dachte die 18-jährige Dagmar, die bis dahin nie bereit gewesen wäre, auch nur in den Nachbarort zu ziehen, ernsthaft über eine Ausreise in den Westen nach.
Rasch bekam die DDR-Staatssicherheit (Stasi) die Beziehung mit. „Als ich am Busbahnhof auf meinen Bus wartete, schaute mich ein älterer Mann mehrmals an, bis er fragte: Sind Sie das Fräulein Greiner? Ich soll Ihnen Grüße von der Familie Jahn ausrichten“, erinnert sich Dagmar Jahn, geborene Greiner.
Dagmar Greiner wird strafversetzt
Viermal besuchte Siegfried Jahn seine Freundin in der DDR, die zu dieser Zeit eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester machte. Doch seit dem Beginn ihres Kontaktes wurde ihr das Leben schwer gemacht: So schrieb die werdende Kinderkrankenschwester im schriftlichen Examen eine Eins – telegrafierte das auch glücklich ihrem Freund.
Aber ein paar Wochen später wurde sie von ihren Lehrerinnen und dem Prüfer nochmals einberufen. Sie habe ihr Thema verfehlt, es gäbe nun insgesamt „großzügigerweise“ noch eine Drei. Ähnliches geschah bei der mündlichen Prüfung.
Nach ihrer Verlobung stellte die nun fertig examinierte Kinderkrankenschwester einen Ausreiseantrag. Seit diesem Zeitpunkt durfte ihr Verlobter nicht mehr in die DDR einreisen. Dafür wurde die 18-Jährige strafversetzt von der Frauenklinik in Erfurt in ein Altenheim nach Sonneberg.
Lügen sollen sie einschüchtern
Alle ein bis zwei Wochen wurde Dagmar zur Stasi geladen. Dort wurde ihr erzählt, dass ihr Verlobter, der in dieser Zeit in Basel Theologie studierte, mit einer Kommilitonin ein Verhältnis habe. Er würde sich nur nicht trauen, es ihr zu sagen, aber sobald sie in den Westen käme, würde er sie verlassen: „Wenn man sich ein Jahr lang nicht sieht, braucht man schon viel Liebe, um solchen Gerüchten nicht zu glauben.“
Nach einem Jahr solcher Schikanen durfte sie am 7. August 1984 dann „zur Übersiedlung in die BRD mit anschließender Eheschließung“ ausreisen. Sie wurde mit einem Bus an die Grenze gefahren und dort von Beamten der Bundesrepublik empfangen: „Ich staunte über die Autobahnen im Westen, die vielen Lichter und modernen Autos.“
Eine Hochzeit ohne Dagmars Eltern
Am 9. März 1985 heirateten Dagmar und Siegfried Jahn. Einer Hochzeit in der DDR wurde nicht zugestimmt, weil die Stasi, wie Dagmar Jahn später durch die Unterlagen erfuhr, befürchtete, dass die Hochzeitsfeier zu einem „gesamtdeutschen Treffen größeren Ausmaßes“ ausarten könne.
Dagmars Familie wurde nicht erlaubt, an der Hochzeit ihrer Tochter im Westen teilzunehmen: „Meine Hochzeit war schön, aber ich habe an dem Tag auch sehr viel geweint, weil meine Familie ihn nicht miterleben durfte.“
Pastor lässt im Heimatort die Glocken läuten
Womit die Stasi nicht gerechnet hatte, war, dass der Pfarrer in ihrem Heimatort in der DDR zur Zeit der Trauung für eine Stunde die Kirchenglocken läuten ließ und einen Gottesdienst für die Familie Greiner hielt - als ein kleines Zeichen des Widerstands gegen das SED-Regime.
Als Dagmar Jahn am 9. November 1989 im Fernsehen von der Pressekonferenz erfuhr, in der Günter Schabowski die neue Reiseregelung für DDR-Bürger vorstellte, war ihr nicht sofort klar, was das bedeutete.
Wiedersehen am 9. November 1989
Am späten Abend klingelte es an ihrer Haustür. Vor ihr standen ihre Eltern, die sich sofort ins Auto gesetzt hatten, um endlich ihre Tochter und Familie wiederzusehen: „Das sind Momente, die man nie vergisst, die einen prägen.“
Ihre Liebe hält
Heute ist Dagmar Jahn 39 Jahre mit ihrem Mann Siegfried, dem ehemaligen evangelischen Dekan von Blaufelden, verheiratet und teilt derzeit bewusst ihre besondere Liebesgeschichte per Video in ihrem Bekanntenkreis. Damit will die überzeugte Christin anderen Hoffnung machen.