Michael Birgden: „Die Digitalisierung beschleunigt den fundamentalen Wandel in der Kommunikation“
16. November 2021
Die nächste Landessynode beschäftigt sich mit dem digitalen Wandel. Mit Kommunikationsdirektor Michael Birgden sprachen wir über sexy Datenbanken, ketzerische Fragen und warum die Nordkirche in ihrer digitalen Kommunikation ebenso gut werden muss wie in der analogen.
Herr Birgden, wie gut ist die Nordkirche in Sachen digitale Kommunikation aufgestellt?
Wir können tatsächlich auf eine lange digitale Kommunikationstradition aufbauen: Die Nordkirche ist schon seit mehr als 20 Jahren im Internet unterwegs, also schon fast so lang wie Google (1997) und sogar länger als Facebook (2004). Und wir nutzen seit zehn Jahren die Sozialen Medien, um mit den Menschen zugewandt und offen zu kommunizieren.
Ziemlich beeindruckend. Reicht das denn nicht?
Der digitale Kulturwandel ist eine Realität, und eine große Herausforderung – nicht nur für die Kirche, sondern für alle Organisationen. Als Kirche haben wir eine sehr, sehr lange Geschichte, was die analoge Kommunikation anbelangt. Diesen Status müssen wir auch in der digitalen Kommunikation erreichen.
Wie meinen Sie das?
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wenn heute Menschen zu einem Taufgespräch kommen, sind sie bereits sehr gut informiert: sie haben auf verschiedenen Plattformen Informationen und auch Meinungen eingeholt, haben eine klare Vorstellung davon, welche*r Pastor*in ihnen zusagen würde (oder eben nicht), in welcher Kirche sie die Zeremonie gerne abhalten möchten, usw. Das stellt völlig neue Anforderungen an den/die Pfarrer*in im analogen Gespräch: Um das Gespräch produktiv zu nutzen, muss er/sie schon wissen, was die Menschen im Internet gefunden haben.
Es gilt also, kluge Angebote für die Mitarbeitenden der Nordkirche zu schaffen, und gleichzeitig bei ihnen die Lust auf den digitalen Wandel zu wecken. Ich verschweige es nicht: Das kann auch bedeuten, Liebgewonnenes, das mit viel Herzblut aufgebaut wurde, kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu überarbeiten.
Wie können wir sicherstellen, dass diejenigen, die nicht digital unterwegs sind, in diesem Prozess nicht auf der Strecke bleiben?
Das ist eine gute, und eine wichtige Frage. Ich möchte sie aber – auch wenn das ketzerisch klingt – andersrum formulieren: Wir sind gut unterwegs mit unserer analogen Kommunikation. Wie also schaffen wir es, auch in unserer digitalen Kommunikation so gut zu werden, damit diejenigen, die digital unterwegs sind, nicht auf der Strecke bleiben?
Sozusagen Bewährtes bewahren, und gleichzeitig auf Neues konzentrieren?
Genau so! In Zukunft müssen wir halb analog, halb digital kommunizieren – und das bedeutet, in Ressourcen, Fähigkeiten und natürlich Technik zu investieren.
Was erwarten Sie sich diesbezüglich von der Themensynode Digitalisierung?
Die Digitalisierung der Nordkirche ist nicht etwas, das man einer Person oder einer Abteilung einfach zuschieben kann – auch nicht dem Kommunikationswerk der Nordkirche. Im Gegenteil: Wir müssen uns mehr aufeinander beziehen, um gemeinsam die Fragen zu beantworten, die die Digitalisierung aufwirft. Das heißt für die Organisation Nordkirche: Silos abschaffen, uns viel stärker vernetzen und interdisziplinär arbeiten. Von den Synodalen wünsche ich mir deshalb klare Aufträge, um diesen Wandel angehen zu können.
Wo führt der Weg für die Nordkirche hin?
Die Digitalisierung ist unsere Wirklichkeit. Deshalb sage ich: Lasst uns in dieser Wirklichkeit verlässlich und wirksam kommunizieren. Wir alle erleben die Digitalisierung als Lernfeld, hier können wir hinsehen, entdecken und staunen – aber auch hinterfragen! Als Kirche sind wir beispielsweise ziemlich geübt in Sachen Medienkritik und -ethik. Auch da möchte ich genauer hinsehen und fragen: Wie machen wir das? Und warum? Und es muss auch die Frage erlaubt sein: Könnte das eventuell auch ein Versuch sein, den Status Quo zu erhalten, weil wir die Veränderung scheuen?
Sie haben Ihr Amt als Kommunikationsdirektor erst vor rund einem Jahr angetreten. Wo setzen Sie die Schwerpunkte?
Um zu verstehen, wo und wie die Menschen angesprochen werden möchten und welche Themen ihnen wichtig sind, müssen wir mehr darüber wissen, wie sie im Netz unterwegs sind. Deshalb führen wir Befragungen durch, und analysieren systematisch Daten und Zahlen.
Das Herzstück unserer digitalen Kommunikation sind unsere Datenbanken im Hintergrund. Zugegeben, das klingt nicht wirklich sexy, aber in Kombination mit den Nutzerdaten sorgen sie dafür, dass die Suchmaschine, der Sprachassistent oder die jeweilige Plattform die für den User relevanten Informationen ausspielt – zum Beispiel, wenn jemand nach Informationen über einen Gottesdienst sucht, oder ein Angebot im Bereich der kirchlichen Seelsorge.
Welche Trends werden die Kommunikation in den nächsten Jahren beeinflussen, und wie kann die Kirche sie aufnehmen und anwenden?
Ich sehe hier vier große Themenfelder:
- Voice Interaction, die heute in praktisch allen neuen Geräten verbaut ist. Wir müssen verstehen, wie Inhalte über Siri, Alexa oder Cortana gesucht, ausgegeben und präsentiert werden. Und wir müssen unsere Datenbanken fit dafür machen, Informationen über die Nordkirche auch via Voice Interaction bereitzustellen.
- Virtuelle Kommunikation: In den letzten beiden Jahren haben wir – pandemiebedingt – viele Prozesse unserer Arbeit digitalisiert. Das geschah fast immer im „Trial and Error-Verfahren“, das teuer und unwirtschaftlich ist. Wir müssen nun eine Strategie für die virtuelle Kommunikation ausarbeiten, die Fragen beantwortet wie: Wie und wo erreichen wir unsere Mitglieder? Wie bekommen wir die Mitarbeiter, die wir brauchen? Wie stärken wir die Loyalität unserer Haupt- und Ehrenamtlichen? Wie erreichen wir Legitimation? Das sind alles keine neuen Themen, aber wir müssen sie für die virtuelle Kommunikation bearbeiten und uns dabei auch fragen, was der Nutzen, und was die Kosten der jeweiligen Maßnahmen sind.
- Nachhaltigkeit in der Kommunikation: Damit meine ich ganz konkret den ökologischen Fußabdruck, den wir beim Kommunizieren hinterlassen. Durch Videokonferenzen sparen wir beispielsweise viele Fahrten zu physischen Treffen ein, das fällt im riesigen Nordkirche-Gebiet deutlich ins Gewicht. Aber wir müssen uns auch vor Augen halten: Eine E-Mail verbraucht etwa 10 Gramm CO2 – ebenso viel wie eine Plastiktüte! Es gilt also, auch bewusster zu kommunizieren – sei dies nun eine Videokonferenz, eine E-Mail oder auch ein physisches Mailing per Post.
- Und als vierten Punkt: Wir müssen unsere (digitale) Kommunikation emotionalisieren.
Das kommt jetzt aber schon etwas überraschend. Sollte nicht gerade die Kirche Meisterin der emotionalen Kommunikation sein?
In der Kommunikation vollzieht sich ein fundamentaler Wandel – weg von der Anbieter- hin zur Empfängerorientierung: Nicht mehr der Anbieter ist der Mächtige, sondern der Konsument, die Konsumentin. Dieser Wandel betrifft nicht nur die Kirche, sondern alle Organisationen, und die Digitalisierung radikalisiert ihn noch zusätzlich.
Die Nordkirche muss deshalb besser werden im (digitalen) Storytelling, damit wir unsere Geschichten in die Lebenswelten unseres Gegenübers übertragen. Wir können nicht mehr erwarten, dass die Menschen uns in unserem „eigenen“ Bereich suchen und finden! Wir müssen sie dort anstupsen, wo sie sich gerade befinden, ihre eigene Sprache sprechend – damit sie Kirche sozusagen „en passant“ wahrnehmen können.
Herr Birgden, herzlichen Dank für das Gespräch.