"Mit 100 hör ich auf": 99-Jährige verteilt seit mehr als 60 Jahren Gemeindebriefe
01. September 2016
Johanna Hippe hat mehr als 60 Jahre lang den Gemeindebrief verteilt - und dabei immer auch Zeit für ein Gespräch über den Glauben gehabt. Nun will die einstige Pfarrersfrau langsam kürzer treten. Im Oktober wird sie 100.
Jetzt verteilt sie ihn nur noch in ihrem Wohnhaus bei der Sportstunde, aber es ist erst ein paar Monate her, da war Johanna Hippe noch draußen in "ihrem" Bezirk unterwegs. Mit einem vollbeladenen Einkaufstrolley zog sie durch die Straßen des mittelfränkischen Bad Windsheim und verteilte den Gemeindebrief, das Informationsblatt der evangelischen Kirchengemeinde. "Seit 1953 trage ich den Brief aus", erzählt Hippe. "Und wenn meine fünf Kinder nicht entschieden hätten, dass ich jetzt zu alt dafür werde, würde ich das immer noch machen." Johanna Hippe ist 99 Jahre alt, im Oktober wird sie 100. "Mit 100 hör ich auf", sagt sie.
Mit gutem Beispiel vorangehen
Das Austragen des Gemeindebriefes sei ihr als Pfarrersfrau quasi zugefallen. "Es war naheliegend, dass die Frau Pfarrer mit gutem Beispiel vorangeht", erklärt Hippe. Damals lebten sie noch in Penzberg in Oberbayern in der Diaspora, wie sie sagt.
Sie wurde während des Ersten Weltkrieges in der Provinz Posen geboren, ist in ihrem Leben 19 Mal umgezogen. Sesshaft wurde sie erst im Ruhestand. In Bad Windsheim lebt sie jetzt seit 1977 "und dass, wo ich eigentlich nie nach Franken wollte".
"Der Gemeindebrief waren anfangs ein paar Blätter, mit der Schreibmaschine getippt, ganz bescheiden", erinnert sie sich. Auf die eng beschriebenen Blätter, die oben in der linken Ecke zusammengetackert wurden, hat Johanna Hippe immer den Namen des Empfängers geschrieben: "Damit das nicht so anonym ist. So haben die Leute gewusst, dass wir sie kennen."
Anfangs hätten die Austrägerinnen noch gleichzeitig Geld gesammelt, wenn sie den Gemeindebrief verteilt haben. Immer für einen guten Zweck. "Da habe ich mir manchmal ganz schön was anhören müssen. Dass die Kirchen immer nur Geld wollen zum Beispiel", erzählt Hippe. Das höchste, was sie je bekommen habe, sei eine Mark gewesen.
Kennenlernen der gesamten Gemeinde
Sie habe sich immer erst einmal vorgestellt, bevor sie den Gemeindebrief reingereicht hat. Das hatte den Vorteil, dass sie sehr schnell die ganze Gemeinde kennenlernte. "Dann habe ich Veranstaltungen erwähnt und manchmal auch über den Glauben geredet".
"Einer hat mal zu mir gesagt: 'Geben sie sich keine Mühe, ich bin aus der Kirche ausgetreten, das Zeug interessiert mich nicht'. Ich habe dann gesagt, vielleicht kommt ja mal eine Zeit." Wenn man schon zu den Leuten gehe, "dann sollten wir nicht bla bla reden", findet Hippe.
Natürlich habe sie auch schon den Gemeindebrief verteilt und ihn am nächsten Tag im Müllhäusl gesehen, "aber ich hatte ja den Namen drauf geschrieben und dann wusste ich schon, wer ihn da so schnell gelesen hatte".
Der Brief als wichtige Verbindung zur Gemeinde
Für Johanna Hippe ist der Brief eine wichtige Verbindung zu den Gemeindemitgliedern, auch wenn man heute nicht mehr von Tür zu Tür gehe und klingle, sondern ihn nur in den Briefkasten stecke. Dass sie jeden Gemeindebrief genau anschaut, bevor sie ihn verteilt, ist für sie selbstverständlich. "Ich verteile ihn nie, wenn ich ihn nicht von A bis Z gelesen habe. Ich weiß genau, was drinsteht", sagt sie.
Selbst als ihr verstorbener Mann nach einem Schlaganfall ihre Betreuung brauchte, war sie unterwegs, um den Brief auszutragen: "Mein Mann hat mir gesagt, zwei Stunden könne er schon mal alleine bleiben".