„Nächstenliebe praktisch umsetzen“ – Annika Woydack über ihre neue Rolle als Landespastorin
14. Januar 2025
Annika Woydack ist die neue Landespastorin für Hamburg. Das Wir zu stärken, sieht Woydack als eines der wichtigsten Themen für Politik, Gesellschaft und Kirche - insbesondere im Wahljahr. Neben den Schwerpunktthemen Wohnen und Pflege will Annika Woydack mehr für das Thema Gewalt gegen Frauen sensibilisieren und Hilfsangebote stärken.
Die 50-Jährige hat die Leitung des Diakonischen Werks der Hansestadt bereits am 1. November 2024 übernommen. Am 16. Januar wird sie mit einem Gottesdienst in der Hauptkirche St. Petri in das Amt eingeführt.
Was hat Sie an der Aufgabe als Landespastorin gereizt?
Annika Woydack: Vor allen Dingen das Sozialdiakonische. Zu gucken, wie setzen wir Nächstenliebe praktisch um. Reden von und mit Gott, was heißt das in der Praxis, in meinem täglichen Handeln? Und was heißt das auch in Rücksprache oder Forderungen gegenüber der Politik?
Was sind Ihre Aufgaben?
Woydack: Ich bin mit den Vorstandskollegen zusammen für das Diakonische Werk in Hamburg verantwortlich. Das ist einerseits ein Hilfswerk, was selber sehr viele Einrichtungen hat, die diakonische Arbeit leisten, also Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen unterstützt.
Das andere ist ein Landesverband, der die Anliegen der Mitglieder, also der anderen diakonischen Einrichtungen und Träger, in der Öffentlichkeit und gegenüber Behörden und Kostenträgern vertritt. Das kann eine Kirchengemeinde mit ihrer Kita sein, das kann aber auch eine große Einrichtung wie die Evangelische Stiftung Alsterdorf sein.
Klingt erst mal nach viel Bürokratie und wenig Kirche oder Gottesdienst?
Woydack: Ich hatte den Talar in den letzten zwei Monaten tatsächlich öfter an als in den letzten Jahren als Landesjugendpastorin. Weil ich auch viel an Schnittstellen tätig bin, wo Umbrüche sind, wo Neues geschieht, so zum Beispiel beim Zusammenschluss von Alten Eichen und Pflegediakonie. Da mitzuwirken und das auch in den Gesamtkontext von Kirche einzusortieren und damit zu stärken, das ist dann doch Gottesdienst. Und das macht mir Spaß.
Heißt das, dass Kirche mehr diakonische Kirche sein muss? Auch mit Blick auf die sinkenden Mitgliederzahlen ...
Woydack: Genau. Viele Menschen sind, das haben die letzten Studien noch mal deutlich gezeigt, in der Kirche, weil es diakonisches Handeln und Diakonie gibt und weil wir da, glaube ich, eine Überzeugungskraft haben. Da wird deutlich, wofür wir stehen. Natürlich wird das auch im Jugendgottesdienst oder in der Konfiarbeit deutlich, aber in der Hinwendung zum Nächsten wird das noch mal sehr konkret und erlebbar für alle Menschen. Selbst für die, die mit Kirche erst mal gar nicht so viel zu tun haben.
Diakonisches Handeln und gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Das Wir stärken“
2025 ist Bundestagswahl, und in Hamburg wird zudem eine neue Bürgerschaft gewählt. Worauf können Menschen aus Sicht der Diakonie bei ihrer Wahlentscheidung achten?
Woydack: Das Wichtigste ist - egal, welche Partei an die Regierung kommt -, dass sie das Wir stärkt, das Miteinander, das Zusammenwirken in der Gesellschaft. Das ist das Wesentliche. Danach würde ich gucken und beurteilen. Als Partei braucht es Kompromissfähigkeit, weil ich nicht allein bin, ich kann nicht allein regieren. Das ist eine der hohen Kompetenzen, die es gerade braucht, Kompromisse eingehen zu können und damit vielleicht auch Eigenes ein Stück weit nach hinten zu stellen, im Sinne aller und zum Wohl aller zu handeln.
Welche großen Themen muss die Politik aus Ihrer Sicht als Diakoniechefin angehen?
Woydack: Das Wir, also das Miteinander in der Gesellschaft, stärken. Dazu gehören ganz unterschiedliche Bereiche. Dazu gehört Wohnungslosigkeit. Wenn wir gucken, wie hoch die Armut ist, mehr als 20 Prozent aller Menschen in der Stadt sind von Armut betroffen. Dazu gehört Pflege ebenso wie die Frage 'Wie gelingt Integration?' Dazu gehört gute Bildung, Kitas, die auskömmlich finanziert sind. Und ein Stück weit auch, mit der Jahreslosung 'Prüfet alles, und behaltet das Gute' unterwegs zu sein. Alles ist erst mal gut und wichtig. Es gibt nie ausreichend Geld für alles, aber es muss ja Geld dafür da sein, dass wir als Gesellschaft gut miteinander und auskömmlich miteinander leben können. Das ist wichtig. Da muss gerade hingeguckt werden.
Pflege und Wohnraum als drängende Herausforderungen
Welche Schwerpunktthemen setzen Sie mit der Diakonie Hamburg in diesem Jahr?
Woydack: Die Schwerpunkte setzen wir bei den Themen, die uns und allen Mitgliedseinrichtungen unter den Nägeln brennen. Das ist natürlich Pflege. Das ist das Thema Wohnen. Wir haben viel zu wenig Wohnungen in Hamburg. Das betrifft einerseits Menschen ohne Wohnung, also Obdachlose, das betrifft aber auch junge Menschen und junge Fachkräfte, die versuchen, hier eine Ausbildung als Pflegefachkraft, als Erzieherin zu machen, aber keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Und natürlich ist auch das Thema Migration und wie wir damit umgehen eine wichtige Frage.
Beim Thema Wohnraum ist die Diakonie ja schon aktiv. Es gibt das Diakonie-Haus Münzviertel in der Münzstraße ...
Woydack: Das Haus, das wir mithilfe von Spenden bauen, verbindet mehrere Aspekte. Einerseits Wohnraum schaffen, andererseits Menschen zu helfen, die keine Chance haben, eine Wohnung zu finden, weil sie psychische Beeinträchtigungen haben oder kein geregeltes Leben, kein geregeltes Einkommen.
In welchem Bereich wünschen Sie sich konkret mehr Unterstützung von der Politik für diakonisches Handeln?
Woydack: Es ist total schwer, etwas Einzelnes herauszupicken, weil alles gleich wichtig ist. Es ist ein großer Blumenstrauß, und es braucht total viel. Ich würde aber sagen, das Thema Pflege und das Thema Wohnen, das sind die beiden in Hamburg spezifischen Punkte, die es unbedingt braucht und die mir total wichtig sind.
Es wird ja schon deutlich: Die Diakonie ist mit ihren vielen Arbeitsbereichen selbst ein bunter Blumenstrauß. Haben Sie schon in alles Einblick bekommen?
Woydack: Es gibt einen Zeitplan. Es ist beeindruckend, was ich in zwei Monaten alles gelernt habe. Nach der ersten Woche dachte ich, mir platzt mein Kopf. Ich besuche jetzt die verschiedenen diakonischen Einrichtungen, die Kolleginnen und Kollegen hier briefen mich für bestimmte Themen, damit ich gut informiert bin. Es macht echt Freude, bei den Leuten vor Ort zu sein, zu hören, worauf sie stolz sind, was sie geschafft haben und wo die Herausforderungen sind.
Hat Sie etwas total begeistert?
Woydack: Wirklich berührt hat mich der Auftritt von Barner 16 beim Senatsempfang zum Jubiläum des Werner Otto Instituts. Barner 16 ist ein inklusives Künstlerprojekt, und das war wirklich toll zu erleben, mit was für einer Stimme, mit was für einer Musik und mit was für einer Freude die Künstlerinnen und Künstler da dabei waren.
Und zu Weihnachten war ich in unserer Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose. Da zu erleben, wie sich Weihnachten unterschiedlich in der Wirklichkeit von Menschen abbildet, das hat mich sehr berührt. Bischöfin Kirsten Fehrs hat an alle, die dort zum Essen eingeladen waren, ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift 'Bleib behütet' verteilt. Und die Menschen haben sich beschenkt gefühlt von diesem Herz.
Gewalt gegen Frauen: Ein Thema, das nicht vergessen werden darf
Gibt es ein Thema, das Ihnen ganz persönlich wichtig ist, das Sie sich auf die Agenda geschrieben haben?
Aus unserem Archiv: Es braucht Frauenhäuser, um den Start in ein gewaltfreies Leben zu erleichtern
Woydack: Was ich noch gar nicht angesprochen habe, ist das Thema Frauen. Zu uns gehört auch ein Frauenhaus und die Fachberatungsstelle Prostitution für Sexarbeiterinnen. Da merke ich, wie hochsensibel wir beim Thema 'Gewalt gegen Frauen' sein sollten. Jetzt gerade schon wieder, direkt nach Silvester, ist eine Frau in Hamburg von ihrem Ehemann umgebracht worden. Gewalt gegen Frauen spielt nach wie vor eine große Rolle. Da hinzugucken, da zu sensibilisieren, da zu stärken, gute Bedingungen für Frauenhäuser zu schaffen, dafür zu kämpfen, das braucht es. Emanzipation haben wir längst noch nicht überall durch.