NS-Zeitzeugin: "Wir müssen bei unseren Kindern anfangen"
17. Januar 2017
Marion Blumenthal Lazan hat als Kind das KZ Bergen-Belsen überlebt. In ihrem Buch "Vier Kieselsteine" erzählt sie die Geschichte ihrer Familie. Die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten hat daraus jetzt ein Lehrbuch für Schulen gemacht.
Mit einem neuen Buch will die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Schülern ab neun Jahren die Geschichte der Verfolgung von Menschen während der NS-Zeit nahebringen. Unter dem Titel "Vier Kieselsteine" berichtet die aus Hoya bei Bremen stammende Jüdin Marion Blumenthal Lazan darin aus ihren Lebenserinnerungen. Das Buch eigne sich bereits für jüngere Schüler, weil darin die Geschichte des Nationalsozialismus aus der Perspektive eines Kindes beschrieben werde, sagte Stiftungsleiter Jens-Christian Wagner.
Unmittelbar von Zeitzeugen lernen
Die erstmals 1996 in den USA und Deutschland veröffentlichten Erinnerungen erzählen aus dem Leben der Familie Blumenthal aus Hoya. Marion Blumenthal Lazan berichtet darin von der beginnenden Verfolgung durch die Nationalsozialisten, über die Haft im Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle, ihre Befreiung und die Auswanderung in die USA. Die Stiftung hat, gefördert vom Land Niedersachsen, zusammen mit Pädagogen das Buch in eine neue Form gebracht und es mit Material für Lehrer ergänzt.
Die heutige Generation sei die letzte, die noch unmittelbar von Zeitzeugen etwas von der Ausgrenzung und Ermordung von Juden und anderen Minderheiten erfahren könne, sagte Marion Blumenthal Lazan. "Es ist sehr wichtig, heute darüber zu sprechen." Die in New York lebende 82-Jährige hat schon häufig vor Schülern über ihre Lebenserinnerungen berichtet. "Wir müssen damit bei unseren Kindern anfangen", sagte sie. "Wir müssen tolerant gegenüber anderen sein und dürfen niemanden aufgrund seiner Religion, Hautfarbe oder nationalen Herkunft beurteilen."
Vier gleiche Kieselsteine gleich vier Überlebende
Marion Blumenthal Lazan war neun Jahre alt, als sie mit ihrem Bruder und ihren Eltern nach Bergen-Belsen deportiert wurde. In dem Lager sammelte sie jeden Tag vier möglichst gleiche Kieselsteine. Sie sollten ein Symbol dafür sein, dass die Familie überlebt und zusammenbleibt. Doch der Vater starb nach der Befreiung im Juni 1945 im brandenburgischen Tröbitz an Fleckfieber - eine Folge der Haft.
Mutter und Kinder überlebten und wandern in die USA aus. Die Mutter wurde 104 Jahre alt, berichtete Marion Blumenthal Lazan bei der Buchpräsentation in Hannover. "Sie war eine starke und wunderbare Frau." Die Mutter bewahrte auch Erinnerungsstücke auf, die Marion Blumenthal Lazan zu der Präsentation mitbrachte. Dazu gehört das Eiserne Kreuz, mit dem der Vater nach dem Ersten Weltkrieg geehrt wurde. "Ein paar Jahren später haben sie ihn eingesperrt." Auch den Judenstern, den sie als Kind tragen musste, hatte sie dabei.
Das niedersächsische Kultusministerium hat das Buchprojekt mit rund 126.000 Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und rund 35.000 Euro Eigenmittel gefördert. Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) betonte: "In Zeiten eines zunehmenden Erstarkens der rechten Ränder müssen wir alle wachsam sein. Und wir müssen unsere Kinder zu wachsamen Mitgliedern dieser Gesellschaft erziehen."