Trauriger Rekord

Bitte nicht wegschauen: Die Not auf Hamburgs Straßen wird größer

In wenigen Jahren hat sich die Zahl der obdachlosen Menschen in Hamburg fast verdoppelt. Sie leben in einer akuten Notsituation, die wir nicht ignorieren dürfen, mahnt die Diakonie.
In wenigen Jahren hat sich die Zahl der obdachlosen Menschen in Hamburg fast verdoppelt. Sie leben in einer akuten Notsituation, die wir nicht ignorieren dürfen, mahnt die Diakonie. © Amorn Suriyan, iStock

10. Januar 2025 von Evelyn Sander

Seit 2018 hat sich die Zahl der obdachlosen Menschen in Hamburg fast verdoppelt. Für die Betroffenen kann der Winter lebensbedrohlich werden. Die Diakonie fordert alle dazu auf, nicht wegzuschauen, sondern Unterstützung anzubieten. Zudem setzt sie sich für eine Ausweitung der geförderte Hilfen und Wohnmöglichkeiten ein.

Im Jahr 2023 lebten 3.787 Menschen ohne Obdach in Hamburg. Das sind laut Wohnungslosenbericht 2024 der Bundesregierung fast doppelt so viele wie im Jahr 2018. Damals waren es noch 1.910 Menschen, die ohne Bleibe waren. Die Dunkelziffer dürfte damals wie heute weitaus höher liegen. 

Housing-First ist unverzichtbar

Hamburg führt im Bundesvergleich einen traurigen Rekord an: Mit knapp 20 Wohnungslosen ohne Unterkunft und 170 untergebrachten Wohnungslosen pro 10.000 Einwohner leben hier so viele Menschen ohne festen Wohnsitz wie in keiner anderen deutschen Stadt. Bundesweit leben mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland ohne festen Wohnsitz, so der Bericht.

Für die Diakonie zeigt dies, „wie wichtig es ist, obdachlose Menschen mit Wohnraum zu versorgen, zum Beispiel durch einen bedarfsgerechten Ausbau von Housing-First-Maßnahmen“, erklärte Dirk Hauer, Sozialexperte der Diakonie. Es sei ein „sozialpolitisches Drama“, dass es in Hamburg ein Winternotprogramm geben müsse und „man sich nicht darauf konzentriert, Wohnraum zur Verfügung zu stellen“, sagte er. Das städtische Wohnungsunternehmen Saga müsse dringend höhere Wohnungskontingente zur Verfügung stellen, damit obdachlose Menschen und Familien versorgt werden könnten.

Nicht mal jeder dritte hat Übernachtungsplatz

Gerade im Winter sei das Leben obdachloser Menschen „akut gefährdet“, sagte Hauer. Als Sofortmaßnahme fordert die Diakonie erneut die ganztägige Öffnung des Winternotprogramms. „Schon am Wochenende droht wiederholt Nachtfrost und das Leben der Menschen, die auf der Straße schlafen, ist in Gefahr“, sagte der Sozialexperte.

Mit insgesamt rund 1.200 Plätzen in Hamburg gebe es „nicht einmal für jeden dritten Obdachlosen einen Übernachtungsplatz“. Die Stadt könne in der kalten Jahreszeit nicht für alle Menschen den notwendigen Erfrierungsschutz gewährleisten. Zudem müssten Menschen die Unterkünfte des Winternotprogramms tagsüber verlassen, nur in Ausnahmefällen und bei amtlicher Unwetterwarnung dürften sie bleiben.

Leben auf der Straße schwächt den Körper extrem

Dabei setze die derzeitige Kälte den ohnehin geschwächten Menschen zu, eine einfache Virusinfektion könne dann tödliche Folgen haben, hieß es von der Diakonie. „Das Leben auf der Straße, der tägliche Kampf ums Überleben, Drogen- und Alkoholkonsum und unbehandelte chronische Krankheiten führen dazu, dass die Menschen in eine gesundheitliche Abwärtsspirale geraten“, sagte Mediziner Hans-Heiner Stöver, der sich ehrenamtlich im Diakonie-Zentrum für Wohnungslose engagiert.

Wenn dann Virusinfektionen hinzukämen, die unter diesen Lebensbedingungen nicht ausheilen könnten, bestehe schnell Lebensgefahr.

Infektionen und Herzversagen drohen

„Als Arzt rate ich bei grippalen Infekten normalerweise dazu, sich auszuruhen, warm zu halten, viel zu schlafen und zu trinken“, sagte Stöver. Nur so würden sich gefährliche Komplikationen wie Lungen- oder Herzmuskelentzündungen und im schlimmsten Fall ein plötzliches Herzversagen vermeiden lassen. Das sei für Obdachlose unter den derzeitigen Bedingungen nicht möglich. „Niemand sollte den ganzen Tag draußen verbringen oder auf der Straße schlafen müssen, schon gar nicht im Herbst und Winter“, erklärte Stöver.

In Hamburg kümmern sich mehrere Haupt- und viele Ehrenamtliche verschiedener Organisationen um die Versorgung von Betroffenen. Doch auch diese Hilfe reicht kaum aus. Sonja Norgall, Leiterin des Hilfsprojekts Mitternachtsbus, bittet deswegen alle Hamburgerinnen und Hamburger um Mithilfe.

Bitte beim Elend anderer nicht wegschauen

Wer einen obdachlosen Menschen auf der Straße sehe, sollte gerade bei kalten Tagen genau hinzuschauen. „Fragen Sie, ob Hilfe benötigt wird“, bittet Norgall und ergänzt: „Ein heißes Getränk kann manchmal sehr hilfreich sein.“ Und wer das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt, sollte umgehend einen Rettungswagen rufen.

Der Mitternachtsbus der Diakonie

Um obdachlosen Menschen zu helfen, ist der Mitternachtsbus der Diakonie in 365 Nächten im Jahr auf der Straße unterwegs. Pro Tour kämen durchschnittlich 125 obdachlose Menschen, etwa neun Kisten Backwaren würden jede Nacht verteilt. „Für die kalten Nächte haben wir dicke Socken, warme Schuhe und andere Winterbekleidung an Bord, damit sich die Leute nachts warmhalten können“, sagte Sonja Norgall, Leiterin des spendenfinanzierten Hilfsprojekts.

Allein im vergangenen Jahr hätten Ehrenamtliche des Mitternachtsbusses in rund 44.000 Pappbechern etwa 8.800 Liter Kaffee, Tee, Kakao und Brühe ausgeschenkt.

Im vergangenen Jahr sind mindestens 24 Obdachlose auf der Straße verstorben und damit acht Menschen mehr als im Vorjahr. Das berichtet das Hamburger Straßenmagazin „Hinz&Kunzt“ unter Bezug auf eine Senatsantwort auf eine Anfrage der CDU.

Wir dürfen die Not nicht akzeptieren

„Seit Jahren berichten Fachleute von einer zunehmenden Verelendung auf Hamburgs Straßen. So tragisch diese hohe Zahl ist – überraschend ist sie nicht“, sagte Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm kurz vor Weihnachten: „Die Stadt muss endlich genügend Hilfsangebote schaffen, die alle obdachlosen Menschen erreichen. Wir dürfen niemals akzeptieren, dass Menschen auf unseren Straßen sterben.“

Bei 13 der 24 Todesfälle dieses Jahres ist den Angaben zufolge das Alter der Gestorbenen bekannt. Sie wurden im Schnitt nicht einmal 48 Jahre alt. Aus der Senatsantwort auf die parlamentarische Anfrage der CDU gehe zudem hervor, dass innerhalb der vergangenen zwölf Monate weitere 33 Menschen ohne festen Wohnsitz in Hamburgs Krankenhäusern verstarben, heißt es.

Unterkünfte sind in schlechtem Zustand

Auch in anderen Bundesländern ist die Not groß. Oftmals seien die Notunterkünfte in prekärem Zustand, kritisiert die Diakonie Schleswig-Holstein. „Menschen, die sich nicht kennen, müssen gemeinsam in Räumen übernachten, die sanitäre Ausstattung lässt zu wünschen übrig, es fehlt an angemessen ausgestatteten Gemeinschaftsräumen und Kochmöglichkeiten“, so Schleswig-Holsteins Landes- und Diakoniepastor Heiko Naß.

Auf individuelle Grundbedürfnisse werde kaum eingegangen. Diese Umstände förderten Konflikte zwischen den Schutzsuchenden, die oft durch psychische und Suchterkrankungen ohnehin stark belastet seien. Erst kurz vor Silvester war ein Mann in Kiel in einem Kältecontainer gewaltsam zu Tode gekommen. 

Höhere, einheitliche Standards müssen her 

Die Diakonie fordert seit langem einheitliche Standards für die Notunterkünfte. Dazu gehörten Einzelunterbringung, Kochmöglichkeiten, gute Anbindung an öffentliche Einrichtungen und den Nahverkehr, Barrierefreiheit sowie besondere Schutzräume für Frauen und Familien. Darüber hinaus sei eine fachliche Betreuung der Menschen nötig.

In Rostock geht derzeit das Modell-Projekt "Housing First" an den Start: Als erste Kommune in Mecklenburg-Vorpommern bietet die Stadt bisher obdachlosen Menschen eine feste Wohnung an. „Eine eigene Wohnung ist somit nicht der Endpunkt, sondern der Ausgangspunkt für ein selbstbestimmtes Leben“, sagte Sozialministerin Stefanie Drese. „Das ist mehr als nur eine pragmatische Lösung für Obdachlosigkeit. Es ist ein Akt der Würde und Anerkennung, der den Betroffenen signalisiert: Du gehörst dazu.“

Housing First ist eine echte Alternative

Das Modell "Housing First" wurde zuerst in den USA als Alternative zur vorübergehenden Unterbringung in Notunterkünften geschaffen und hat sich seitdem bewährt. Inzwischen ist es in mehreren europäischen Ländern etabliert. In Deutschland wird es derzeit auch in Hamburg erprobt – bislang sind rund 20 Menschen von der Straße in eine feste Wohnung gezogen. 

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