Pastor Billerbeck: "Judenhass wird direkter sichtbar"
17. Juli 2024
Zwölf Jahre lang war Hanno Billerbeck Pastor an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Jetzt geht er in den Ruhestand. Bei seiner Arbeit erlebte er Schönes wie Trauriges. Manches bleibt erschreckend – wie der Judenhass einiger Besucher.
Von seinem Bürofenster aus blickt der evangelische Pastor Hanno Billerbeck auf das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte: Auf 57 Hektar erstreckt sich die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Enorme Steingabionen symbolisieren die Grundrisse der ehemaligen Holzbaracken, in denen die Nationalsozialisten zwischen 1938 und 1945 knapp 100.000 Menschen aus ganz Europa festhielten. Mindestens 42.900 von ihnen kamen dort ums Leben.
Vertrauensperson für Mitarbeitende
Zwölf Jahre lang arbeitete Billerbeck im Auftrag der Nordkirche für die KZ-Gedenkstätte. Am 19. Juli wird er in den Ruhestand verabschiedet. Ihm folgt am 1. September der derzeitige Studienleiter des Pastoralkollegs der Nordkirche, Martin Zerrath (49), nach.
Billerbeck hat etwa 30 Ehrenamtliche betreut, die am Wochenende Führungen über das Gelände anbieten. Er war zudem Ansprechpartner für viele Mitarbeitende der Gedenkstätte, so manches Mal auch Seelsorger. Schließlich pflegen die Beschäftigten Kontakt zu ehemaligen KZ-Häftlingen, von denen auch einige in der Ukraine wohnen. „Manche sind nun dort im Krieg gestorben“, erklärt Billerbeck.
Persönlicher Kontakt zu Überlebenden
Der 64-Jährige selbst hat ebenfalls Kontakte zu Zeitzeugen. Erst im April 2024 segnete er Michael Rosenberg (89) und seine Frau bei deren Diamantener Hochzeit. Rosenberg ist Sohn einer Jüdin. Er war sieben Jahre alt, als seine Mutter 1941 aus Hamburg von den Nazis in das Getto Minsk (Belarus) deportiert und dort ermordet wurde.
Billerbeck recherchierte auch zur NS-Zeit, etwa zur Köhlbrandwerft, deren lutherische Besitzerfamilie wegen ihrer jüdischen Vorfahren enteignet wurde. Netzwerkarbeit zu Gedenkstätten und Verbänden in Deutschland und im Ausland gehörte ebenfalls zu seinen Aufgaben.
Kirche stellt sich ihrer Verantwortung
Dass die Kirche in der Gedenkstätte so präsent ist, hat historische Gründe. In den 1980er Jahren half der Pastor Jürgen Köhler mit seinem Engagement, die Gedenkstätte ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
1992 beschloss der damalige Kirchenkreis Alt-Hamburg, eine Pfarrstelle an der Gedenkstätte einzurichten. Bundesweit gibt es nur noch im bayerischen Dachau eine Pastoren-Vollzeitstelle an einer KZ-Gedenkstätte. Damit stelle sich die Kirche ihrer geschichtlichen Verantwortung, sagt Billerbeck. Sie war oft Teil des NS-Systems, viele Täter waren evangelisch. Als die Stelle in Neuengamme frei wurde, bewarb er sich sofort.
Erinnerungsarbeit als Lebensthema
Die NS-Zeit beschäftigte Billerbeck schon als jungen Mann. 1979 machte er in Wedel Abitur, wo sich ein Außenlager des KZ Neuengamme befand. Damals gab es erste Initiativen in der Stadt, die sich mit diesem Stück Vergangenheit beschäftigten.
Auch bei den ersten Pastorenstellen kam Billerbeck mit der NS-Zeit in Kontakt. Ob in Finkenwerder, wo sich ebenfalls ein Außenlager des KZs Neuengamme befand, oder später in Geesthacht, wo er mit Konfirmanden half, Biografien von Opfern der NS-Zeit für Stolpersteine zu erstellen.
Interesse an Gedenkstätte ist groß
Insgesamt beobachtet der Pastor ein gestiegenes Interesse an der Gedenkstätte, die der Historiker Oliver von Wrochem leitet und die jährlich 120.000 Menschen besuchen. „Angesichts der stärker werdenden rechtsextremen Tendenzen wollen viele genau wissen, was die Nazis damals angerichtet haben“, erklärt er. Das NS-System sei geprägt gewesen von Ausbeutung, Ausgrenzung und Unterdrückung. „Hier kann man sehen, wo so eine Politik im Extremfall hinführt.“
Meldestelle für antisemitische Vorfälle: report-antisemitism.de
Zu den steigenden Zahlen von Antisemitismusfällen sagt Billerbeck: „Judenhass hat es immer schon gegeben. Heute aber wird er direkter sichtbar.“ Selbst in der Gedenkstätte. Vereinzelt kämen Erwachsene, die offen ihre Tattoos mit NS-Symbolen zeigten. Sogar antisemitische Beleidigungen von Mitarbeitenden habe es gegeben.
Antisemitismus tritt auch hier zutage
Billerbeck erinnert sich auch an einen Mann, der an einer seiner Führungen im vergangenen Jahr teilnahm und den Holocaust relativierte. „Ich habe ihm gesagt, dass er gehen müsse, wenn er nicht ruhig ist. Er blieb. Und hielt von da an den Mund.“