Pastorin Fronek: Menschen dürfen Angst empfinden, doch sie sollte uns nicht spalten
03. April 2024
Die geplante Aufnahme von Geflüchteten hat Grevesmühlen und Upahl in Nordwestmecklenburg im vergangenen Jahr tief gespalten. Eine, die sich für den Dialog in ihrer Gemeinde einsetzt und gleichzeitig klar Position gegen Rechtsextremismus und Rassismus bezieht, ist Pastorin Fabienne Fronek. Ein Interview über den Umgang mit Vorurteilen und Ängsten.
400 Geflüchtete sollten zunächst in Upahl, später dann verteilt auf Upahl und den Nachbarort Grevensmühlen einquartiert werden. Zu viele für einen kleinen Ort, sagten die einen und organisierten Protestkundgebungen.
Es geht darum, Gesicht und Haltung zu zeigen
Was als demokratische Debatte begann, entwickelte sich zu einer Situation, in der zuweilen offen rassistische und rechtsextreme Töne mitschwangen.
Pastorin Fabienne Fronek engagiert sich im Bündnis „Grevesmühlen für alle“ für Vielfalt und ein respektvolles Miteinander. Sie zeigt auf Demos Flagge gegen Rechtsextremismus. Im Interview erzählt sie, was sich seitdem verändert hat.
nordkirche.de: Frau Fronek, seitdem im Januar bekannt wurde, dass rechte Netzwerke die Deportation von tausenden Menschen planen, gehen Menschen vermehrt gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Sie haben das eigentlich schon vorher getan…
Fabienne Fronek: Ja. Aber nicht allein. Wir haben hier ein Bündnis von Menschen, die das gemeinsam machen, dazu gehört auch der Kirchengemeinderat. Eines ist uns dabei ganz wichtig: Wir sind nicht in erster Linie gegen etwas, sondern für etwas. Nämlich für Vielfalt, Toleranz und ein demokratisches Deutschland. Wir sind für alle. So heißt unser Bündnis ja auch: „Grevesmühlen für alle“. Als Folge daraus ergibt sich dann, dass wir gegen Rechtsextremismus und Rassismus sind.
Verstehen Sie es als Ihren christlichen Auftrag, sich für Vielfalt einzusetzen – oder wie kam es dazu?
Ich verstehe es als christlichen Auftrag, darauf hinzuweisen, was unseren Glauben ausmacht, was auch unser biblisches Zeugnis ausmacht. Wenn man sich die alttestamentlichen Texte anschaut, dann ist es ein wichtiges Gebot – neben den 10 Geboten – die Schwächsten der Gesellschaft zu unterstützen. Das Mitgefühl und Verständnis für „Fremdlinge“, wie es dort heißt, wird dort mehrfach thematisiert. Das ist unser christliches Erbe – das sollten wir uns klarmachen.
Im vergangenen Jahr habe ich viel zu diesem Thema gepredigt. Und ich bin mit den Menschen hier im Ort dazu ins Gespräch gekommen, etwa im Konfi-Unterricht und bei den Seniorennachmittagen. Ich wollte hören: Wie ist die Stimmung? Was bewegt die Leute?
Welche Veränderung nehmen Sie seitdem wahr?
Im letzten Jahr war die Stimmung sehr aufgeheizt. Man wusste gar nicht, mit wem man reden kann, ohne in eine Ecke gestellt zu werden. Auch Menschen, die für ein offenes Grevesmühlen sind, wussten gar nicht, mit wem sie darüber ins Gespräch kommen können. Seit wir uns als Kirchengemeinde positioniert haben, ist das anders.
Seitdem erlebe ich, dass Leute auf uns zukommen. Solche, die für Vielfalt sind. Aber auch solche, die Fragen haben. Und ich finde, das ist ein schönes Ergebnis: Dass wir eine Gesprächskultur haben. Der Dialog hat die Situation entspannt. Und wer Ängste hat, kann diese formulieren. Denn das möchte ich auch sagen: Menschen dürfen Ängste haben. Und ich als Pastorin höre zu.
Trotzdem gab es vor Kurzem einen Vorfall der extremen Art: Der Vorsitzende des Kirchengemeinderats erhielt als Reaktion auf seinen Einsatz für Vielfalt ein anonymes Drohschreiben. Fühlen Sie sich noch sicher?
Ich wurde bisher nicht bedroht. Nicht als Einzelperson. Aber wenn wir Demos veranstalten, gibt es eine kleine Gruppe, die lautstark deutlich macht, dass sie eine andere Meinung hat als wir. Man kann sagen: Wir werden als Gruppe bedroht.
Die eine Sache ist: Ich setze mich als Pastorin repräsentativ für unsere Gemeinde ein. Das kann ich nur machen, wenn ich den Rückhalt des Kirchengemeinderats habe. Den es zum Glück gibt.
Die andere Sache ist: Ich habe einen Partner, der eine schwarze Hautfarbe hat. Das heißt: Ich habe selbst erlebt, wo und wie man im Alltag angefeindet wird – mit Blicken und mit Worten.
Ich weiß, dass man sehr genau überlegt, wann man wo unterwegs sein will. Und als klar wurde, dass wir uns engagieren wollen, habe ich überlegt, was die Konsequenzen sein werden. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich das einschätzen kann. Letztlich ist die Frage: Was ist bedrohlicher? Mit meinem Gesicht in der Zeitung zu stehen? Oder mit meinem Freund abends den Bus zu nehmen?
Empfinden Sie sich als mutig?
Ich höre immer mal wieder, dass Leute das sagen. Aber ich muss den Mut einfach haben, wenn ich hier in Deutschland und in Mecklenburg mit meinem Partner leben will.
Mich haben mehrere Menschen darauf angesprochen, dass der Ton in den letzten Jahren rauer geworden ist. Menschen, die nicht weiß sind. Sie sagen, dass es schlimmer geworden ist. Und die müssen jeden Tag mutig sein, wenn sie hier leben, arbeiten und wohnen.
Wenn Sie mit Menschen aus Ihrer Gemeinde im Gespräch sind: Können Sie verstehen, was deren Ängste sind?
Viele können ihre Ängste gar nicht so genau formulieren. Das ist ja das Problem. Da ist einfach nur ein Gefühl. Aber ich kann das in Teilen nachvollziehen. Ich bin selbst in einer anderen mecklenburgischen Kleinstadt aufgewachsen, in Hagenow. Während des Studiums in Wien und Tübingen habe ich zum ersten Mal erlebt, wie es ist, wenn viele Nationalitäten zusammenkommen. Das kann überfordernd sein. Aber wir müssen einen Umgang miteinander finden, der Vorurteile abbaut. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Hier in Grevesmühlen gibt es verschiedene Dialogformate und Austauschmöglichkeiten. Zum Beispiel machen Gemeindemitglieder mit Geflüchteten Deutsch-Spaziergänge durch die Stadt, die mit Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus enden. An manchen Tagen unterhalten sich die Leute auf Farsi im Großen Gemeindesaal, während im kleinen Gemeindesaal beim Seniorennachmittag „Am Brunnen vor dem Großen Tore“ gesungen wird. Das ist schon interessant. Da kann was entstehen. Aber es braucht Zeit.
Ein Blick in die Zukunft: Im Juni sind Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Europawahlen. Motivieren Sie die Leute, wählen zu gehen?
Letztes Jahr, als es um den Bürgerentscheid zur Flüchtlingsunterkunft ging, habe ich gesagt: Geht wählen! Ihr müsst euch einbringen. Das ist euer demokratisches Recht und eure Aufgabe. Natürlich sage ich das auch weiterhin.
Vielen Dank für das Gespräch!