Rassistische Anschläge von Mölln: Christen und Muslime gedenken der Opfer
23. November 2022
Vor 30 Jahren starben bei rechtsextremistischen Brandanschlägen in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln drei Menschen. Beim ökumenischen Gottesdienst in der St. Nicolai-Kirche wird ein Ersthelfer von damals in einem selbst verfassten Song an die Tat erinnern. Landespastor Heiko Naß mahnt im Vorfeld der Gedenkfeiern an, dass wir Rassismus keinen Platz in unserer Gesellschaft geben dürfen.
Mit Rassismus wollen wir nicht leben – das ist die deutliche Botschaft, die Vertreter der christlichen und türkischen Gemeinden zum Gedenken an die Opfer des Brandanschlags in Mölln senden. Überlebender engagiert sich heute in SchulenVor 30 Jahren, am 23. November 1992 warfen zwei Skinheads kurz nach Mitternacht Molotow-Cocktails in zwei Häuser, in denen türkische Familien wohnten. Die 51-jährige Bahide Arslan, ihre Enkelin Yeliz (10) und ihre Nichte Ayse (14) starben. Neun weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Täter wurden zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, inzwischen sind beide wieder auf freiem Fuß. Ibrahim Arslan (37) ist einer der Überlebenden: er wurde dank seiner Großmutter Bahide, die den damals Siebenjährigen in nasse Decken hüllte, gerettet. Sie selbst starb an einer Rauchvergiftung. Arslan verlor auch seine Schwester und seine Cousine bei dem Anschlag. Er engagiert sich seit Jahren als Aktivist gegen rechte Gewalt und spricht bundesweit in Schulen und auf Konferenzen. Noch immer werden rassistisch motivierte Straftaten begangenIn Mölln war das Entsetzen in der Bevölkerung nach dem Anschlag groß. Die zwölf betroffenen Familien waren in der Stadt bekannt, lebten bereits seit 20 Jahren in Mölln. Noch am Abend des Anschlagstages versammelten sich 6.500 Einwohner zu einem spontanen Schweigemarsch. Fünf Tage später gingen mehr als 12.000 Menschen auf die Straße. Menschen in ganz Deutschland schickten über 467 Kondolenzschreiben an die betroffenen Familien. Allein das Deutsche Rote Kreuz Mölln und das Städtische Krankenhaus sammelten über 270.000 Mark für die Betroffenen.
Kurz nach dem Anschlag gründete sich in Mölln der Verein „Miteinander leben“, der bis heute mit Ausstellungen und Vorträgen in Schulen über Rassismus aufklärt. „Die kriminelle Energie, die hinter dieser rassistischen Tat steckte, hat uns sehr erschreckt“, sagt Vereinsmitglied Antje Buchholz. Anfang September 2022 wurde Mölln erneut mit kriminellem Rassismus gegen die türkische Gemeinde konfrontiert. Im Eingangsflur der Moschee „Fatih Sultan Camii“, in der auch eine Familie wohnt, steckten bislang Unbekannte eine Magnetwand mit Flyern in Brand. Er macht deutlich, dass es in Deutschland weiterhin rassistische Tendenzen gibt. Gedenken muss unbequem seinDiesen entschieden entgegen zu treten ist für Cebel Küçükkaraca von der Türkischen Gemeinde Schleswig-Holstein sehr wichtig. Die jährlichen Gedenkfeiern etwa würden helfen, deutlich zu machen: „Mit Rassismus wollen wir nicht leben.“ Das öffentliche Erinnern sei ein wichtiger Akt der Anerkennung, dass ein politisch motiviertes Verbrechen geschehen ist und dass die von rechter Gewalt Getroffenen Gehör finden müssen, sagt Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Fabian Virchow. Erinnern verweise darauf, dass es ein Problem gibt, dem sich die Gesellschaft stellen müsse. Insofern sei sinnvolles Erinnern häufig auch unbequem und widerständig. Bischöfin Fehrs beim GedenkgottesdienstIm Gedenkgottesdienst (17 Uhr St. Nicolaikirche) wird auch ein Ersthelfer von damals zur Wort kommen: Mit seinem Lied beschreibt er seinen Einsatz in der Anschlagsnacht. Und er thematisiert seinem Schmerz darüber, dass er das jüngste Opfer, die zehnjährige Yeliz, nicht retten konnte. Schon vor dem ökumenischen Gottesdienst wird es um 16 Uhr ein Gebet in der Fatih-Sultan Moschee in Mölln geben. Zur Gedenkstunde werden unrter anderem die Kulturbeauftragte der Bundesregierung Claudia Roth (Grüne), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der türkische Botschafter Ali Kemal Aydin und die evangelische Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs erwartet. Im Anschluss an das gebet und den Gottesdienst werden Kränze an den Brandorten niedergelegt. Auch Angehörige der Toten, Ibrahim und Faruk Arslan, werden sprechen. Jeder kann etwas unternehmenBereits im Vorfeld der Gedenkfeier machte Diakonie- und Landespastor Heiko Naß deutlich, dass wir im Bemühen um ein besseres Miteinander nicht nachlassen dürfen. Alltagsrassismus sei immer noch allgegenwärtig:
Weiter sagte er: „Wir müssen aber auch die Integration von Migrantinnen und Migranten weiter voranbringen. Alle sollten das Recht haben, sich gleichberechtigt in unsere Gesellschaft einzubringen, an Bildung teilzuhaben und zu arbeiten, egal ob sie aus Syrien, Afghanistan oder der Ukraine zu uns kommen. Das stärkt den Zusammenhalt und sichert unsere gemeinsame Zukunft.“ |