Seemann-Katz: Die Menschenrechte für Geflüchtete endlich durchsetzen
22. August 2022
30 Jahre nach dem rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Pogrom von Rostock-Lichtenhagen hat die ehrenamtliche Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates MV, Ulrike Seemann-Katz, Verbesserungen im Umgang mit Geflüchteten angemahnt.
Seemann-Katz engagiert sich seit vielen Jahren in Mecklenburg-Vorpommern für Geflüchtete. Die studierte Pädagogin war lange Zeit hauptamtliche Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates MV und macht diese Geschäftsführung inzwischen ehrenamtlich. Vor dem 30. Jahrestag des fremdenfeindlichen Pogroms von Rostock-Lichtenhagen äußerte sich die 66-Jährige im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) zu den Folgen der damaligen Ereignisse und heutigen Herausforderungen.
Was ist aus Ihrer Sicht in den vergangenen 30 Jahren nach dem Pogrom von Lichtenhagen gut gelaufen?
Seemann-Katz: Es gab ein stetes Auf und Ab in der Flüchtlingspolitik. Gut war es, dass sich die Stadt Rostock immer sehr für eine menschenwürdige Unterbringung Geflüchteter eingesetzt hat. Das Land hat dann immerhin in den Jahren 2000 und 2001 erstmals überhaupt Standards für die Unterbringung in Asylbewerberheimen gesetzt, die aber inzwischen auch schon wieder veraltet sind. Seitdem hat ein Flüchtling Anspruch auf sechs Quadratmeter „Privatsphäre“ im Mehrbettzimmer.
Warum sind diese Standards inzwischen veraltet?
Vor allem vor dem Hintergrund höherrangigen Rechts (etwa Kinderrechtskonvention, EU-Aufnahmerichtlinie) sollten Menschen in MV anders untergebracht werden. Besonders schlecht ist, dass Asylbewerber nach den Ereignissen von Lichtenhagen „aus der Schusslinie“ (Zitat Landesregierung MV) genommen wurden.
Flüchtlinge aus dem Blick geraten
Seitdem gibt es die Erstaufnahmeeinrichtung im abgelegenen Nostorf-Horst, die Unterbringung hinter Zäunen, die man nicht nur als vor Nazis gesicherte Unterbringung betrachten kann, sondern auch als gesicherte Ausgrenzung. Die Flüchtlinge und die ausgrenzende Unterbringung kamen so aus dem Blickfeld und geraten nur zu solchen Jahrestagen oder bei Konflikten wieder in den Blick.
Was müsste aus Ihrer Sicht im Hinblick auf das Gedenken an das Pogrom unbedingt noch getan werden?
Kernthema des Flüchtlingsrates MV ist, dass die Menschenrechte für Geflüchtete durchgesetzt werden. Dazu gehört, dass alle Kinder ein Recht auf Bildung und Schule haben, dass alle Menschen gleiches Recht auf Zugang zum Gesundheitssystem haben, dass alle unabhängig von Herkunft und Papier gleiche Sozialleistungen erhalten.
"Gleichheit aller Menschen muss schon in Kita und Schule thematisiert werden"
Wäre das gegeben, würde die Gleichheit aller Menschen weniger angezweifelt. Die Ausgrenzung bedingt und bedient die Ausgrenzung. Und natürlich muss die Gleichheit auch schon in Kita und Schule thematisiert werden. Das Sonnenblumenhaus ist faktisch Gedenkstelle. In seiner Nähe könnte eine Ausstellung oder eine entsprechende Gedenkstelle eingerichtet werden.
Wie stellen Sie sich solch eine Ausstellung oder Gedenkstelle konkret vor?
Die Entwicklung von Gedenkstätten ist klassische Aufgabe von Historikerinnen und Historikern in enger Zusammenarbeit mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und Pädagoginnen und Pädagogen. Wir unterstützen das gerne.
Welche aktuellen Forderungen hat der Flüchtlingsrat MV noch?
Wir fordern Zugang zu Arbeits-, Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Flüchtlinge, menschenwürdigen Wohnraum außerhalb von Heimen und uneingeschränkte medizinische Versorgung. Denn daran hat sich auch 30 Jahre später nichts geändert, weil sich die Grundlage der Flüchtlingsbehandlung in Deutschland nicht ändert.
Insbesondere zum Thema Unterbringung - denn da ist das Land zuständig - haben wir vor der vergangenen Landtagswahl ein umfangreiches Positionspapier entwickelt, das von 33 Organisationen unterzeichnet wurde. Das Papier enthält zwei Seiten Forderungen in Anstrichen, alle aktuell. Das Thema findet sich jedoch nicht in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Linken wieder. Wir arbeiten aber daran, dass sich trotzdem etwas bewegt.