Zwei Jahre Krieg: Zerbrochene Herzen, zerbrochene Leben
20. Februar 2024
Zwei Jahre herrscht nun in Europa Krieg: Am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Seitdem sind tausende Menschen gestorben, viele verließen ihre Heimat. Doch ein Leben im Exil ist nicht einfach, wenn die Sorge um alle Daheimgebliebenen groß ist. Ein Besuch im Hamburger Flüchtlingstreff "KaffeeSchnack".
Mehr zur Geflüchtetenhilfe „Tausch&Schnack“ der Kirchengemeinde Eimsbüttel und dem ASB Ortsverein Hamburg-Mitte
„Broken heart, broken life, broken alles” – mit diesem Worten beschreibt Dina ihre emotionale Situation. Die Ukrainerin sitzt bei einer Tasse Cappuccino im „KaffeeSchnack“, einem Treff für Geflüchtete in Hamburg Eimsbüttel. Neben ihr auf dem Sofa kuschelt sich ihre Tochter Katharina an einen Stoff-Igel, den Ehrenamtliche zusammen mit anderen Spielsachen gespendet haben.
Von der Familie getrennt
Beide verließen vor rund eineinhalb Jahren die Ukraine. Damals war Katharina ein Kindergarten-Kind, heute besucht sie in Hamburg die zweite Klasse. Ihren Vater hat sie seit der Flucht nicht mehr in die Arme geschlossen. Sie halten Kontakt über das Smartphone.
Ihr Leben im Exil ist eines, das von innerer Zerrissenheit geprägt ist, erzählt Dina mir in einem Sprachen-Mix aus Deutsch und Englisch, teils übersetzt ihre Tochter meine Fragen auch ins Ukrainische: Sie vermisse ihren Mann, ihren Bruder, ihre ganze Familie, antwortet Dina. Sie möchte nach Hause, doch wann das möglich sei, wisse sie nicht. Denn ihre Tochter solle in Sicherheit aufwachsen. So hätten ihr Mann und sie es beschlossen.
Alles, was in einen Rucksack passte
Spendenkonto:
- ASB OV Hamburg-Mitte e.V.
- IBAN: DE96 2008 0000 0054 5454 00
- BIC: DRESDEFF200
- Stichwort: "Spende Tausch & Schnack"
- Paypal: ov-mitte@asb-hamburg.de
Als die Bomben vor eineinhalb Jahren auf ihre Heimatstadt fielen, packten sie in aller Eile ein paar Sachen zusammen. „Medikamente, Kleidung, einen Föhn – alles in einem kleinen Rucksack. Sonst nichts“, erzählt sie. Dann fuhr ihr Mann die kleine Familie aus der Südukraine bis an die polnische Grenze. Dort riet er seiner Frau, sich einem Flüchtlingskonvoi Richtung Deutschland oder Großbritannien anzuschließen. Er selbst fuhr zurück zur Arbeit, um sein Land zu unterstützen.
So gelangten Dina und Katharina nach Hamburg, eine Stadt, von der sie bis dahin noch nie etwas gehört hatten. Erst wohnten sie in einer Flüchtlingsunterkunft, seit August 2023 in einer kleinen Wohnung. Jetzt gehen sie beide zur Schule, sagen sie mit einem kleinen Lächeln: Katharina in die Grundschule, ihre Mama in die Deutsch-Kurse für Erwachsene.
Sorge um die Männer bestimmt das Leben
„In Deutschland ist es gut, aber zu Hause ist es besser“, sagt Dina. So wie ihr geht es vielen, erklärt Constance, die den Geflüchteten-Treff der Kirchengemeinde Eimsbüttel ehrenamtlich leitet. Nur wer mehr als drei Kinder habe, dürfe als komplette Familie ausreisen. Bei allen anderen müsse der Mann bleiben, um als Soldat zu kämpfen oder die Infrastruktur und Wirtschaft des Landes durch seinen Job am Laufen zu halten. Der Appell der ukrainischen Regierung ist unmissverständlich: Wer dienstfähig ist, soll zurückkehren.
Von den rund 13,7 Millionen Ukrainern und Ukrainerinnen, die seit Kriegsbeginn ihr Land verlassen haben, sind laut UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR knapp die Hälfte inzwischen zurückgekommen.
Kaffee und Kuchen gegen die Einsamkeit
Neben der Aufforderung der ukrainischen Regierung ist der Rücklauf auch auf ein privates Dilemma zurückzuführen: Eine Partnerschaft lässt sich schwer über einen Zeitraum von ein, zwei oder noch mehr Jahren auf Distanz führen. Das höre sie immer wieder im Gespräch mit den Frauen heraus, sagt Constance. Die Ungewissheit, wann und ob man sich überhaupt gesund wiedersehe, sei zermürbend.
Das Eimsbütteler „Tausch&Schnack“ und der dazugehörige Treffpunkt „KaffeeSchnack“ versuche die Einsamkeit zu lindern, indem es Verbindungen schaffe: Ukrainer:innen können sich hier zum lockeren Austausch bei gutem Kaffee und frisch gebackenem Kuchen treffen. Wer etwas für den Haushalt oder die Kinder braucht, kann es aus der Spendensammlung mitnehmen. Ebenso unterstützen Ehrenamtliche bei den Hausaufgaben und beim Ausfüllen deutscher Formulare.
Kontakt zu russischen Freunden eingefroren
Auch eine kleine Bücherei gibt es hier, darunter auch viele Kinderbücher. Ein kleiner Teil der Kinderbücher ist zweisprachig erschienen: Je eine Seite auf Ukrainisch und eine auf Deutsch. Eine ehrenamtliche Helferin drückt eines davon der Zweitklässlerin Katharina in die Hand, die sich sichtlich freut.
Ihrer Mutter geht es ähnlich. Sie ist froh, dass ihre Tochter an diesem Nachmittag eine Beschäftigung abseits des Internets hat. Während ihr Kind in dem Buch blättert, frage ich sie, ob sie persönlich noch Kontakt zu Russen hat. Sie zögert etwas. Ihr Vater sei Russe gewesen, sagt sie. Doch er lebe nicht mehr. Auch einige Freunde seien Russen, aber inzwischen sprechen sie nicht mehr viel miteinander. Eine kurze Nachricht zum Geburtstag. „Happy Birthday – mehr nicht“, sagt sie.
Kriegsmüdigkeit wird spürbar
Die Erfahrung, dass der Krieg Freundeskreise und Familien entzweit, hat auch Lena gemacht. „Es ist eine Tragödie“, sagt sie. Die gebürtige Russin lebt seit vielen Jahren in Deutschland und war unter den ersten Unterstützerinnen des neu gegründeten „KaffeeSchnack“, wo sie als Übersetzerin aushilft.
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Mit ihrer Familie habe sie teils heftig gestritten, als der Krieg ausbrach, denn die habe ihn anfangs als „Befreiungsaktion“ gefeiert. Inzwischen habe sich das Blatt gewendet – aus der anfänglichen Kriegsbegeisterung sei Kriegsmüdigkeit geworden. Mittlerweile wünsche man sich gegenseitig Frieden.
"Die Bürger müssen aufstehen"
Welchen Anteil daran die enormen Teuerungen der letzten Zeit haben, sei schwer einzuschätzen. Für sie persönlich stehe jedoch schon lange fest, dass die russische Regierung vor Gericht gehöre für das, was sie den Ukrainern und den eigenen Bürgern antäte, meint Lena.
Ändern könne man von außen jedoch nur wenig, sagt die in St. Petersburg geborene Plakatdesignerin und Illustratorin. „Die russischen Bürger müssen selbst aufstehen. Anders geht es nicht.“
Und jetzt?
Und Dina? Sie hofft darauf, in einem Jahr zu Hause zu sein. Große Erwartungen an eine Protestbewegung der Russen hat sie nicht. „Die sind leise“, sagt sie desillusioniert. Am Ende gehe es wohl eher darum, wer mehr politischen Einfluss und damit auch mehr Geld habe, sagt sie.