Seemannspastor: Es geht um eine "Mission mit Taten"
08. Juni 2023
Die Fischermütze sitzt, das beherzte „Moin!“ sowieso. Und zu fast jeder Ecke auf dem Weg von der Seemannsmission zum Cruise-Terminal Altona fallen Götz-Volkmar Neitzel Anekdoten zum Leben am Hafen und auf See ein. Seit 10 Monaten ist Neitzel nun Seemannspastor der Nordkirche.
Für Leute, die lieber festen als schwankenden Boden unter den Füßen haben, mag das eine kurze Eingewöhnungszeit sein. Doch Neitzel hat eine besondere Verbindung zu Wind, Wellen und dem Brummen von Schiffsmotoren: Schon sein Großvater fuhr zur See, auch der Vater war Marineoffizier und einige Zeit in Flensburg stationiert, wo Neitzel aufwuchs.
Rund 300 Ehrenamtliche im Einsatz
Nach Stationen als Gemeindepastor sowie als Notfallseelsorger und Vertretungspastor in Hamburg-Ost, ist Neitzel jetzt für alle Seemannsstationen der Nordkirche zuständig: in Hamburg, Brunsbüttel, Lübeck, Kiel, Rostock und Sassnitz. Insgesamt arbeiten 20 Haupt- und etwa 300 Ehrenamtliche in seinem Aufgabenbereich.
Sie versorgen die Seeleute mit Zahnbürsten, Snacks und Telefonkarten und bieten Räume zum Ausruhen und Erholen. Im Notfall organisieren sie Kleidung und Unterkunft. Und sie sorgen dafür, dass die Seeleute Geld in die Heimat schicken können und bringen Briefe an Bord.
"Mission mit Taten" ist das Ziel
Für viele sind die Seemannsmissionen Rettungsanker im harten Alltag auf See, weiß Neitzel. Ihre Arbeit ist der sichtbarste Teil dessen, was Neitzel eine „Mission mit Taten“ nennt. Denn im Kern gehe es darum, die christliche Botschaft weiterzugeben. So wie am Karfreitag, als ein Kapitän ihn von der Ostsee aus anrief, um am nächsten Tag einen Gottesdienst mit seiner Crew im Hamburger Hafen feiern zu können. Das habe den Jungs gut getan, meldete der Kapitän danach zurück.
Mission bedeute nicht, dass man mit „gezogenem Kreuz auf die Menschen in der Seefahrt einredet, aber mit unserem Handeln“, sagt der Pastor. Ob Tod des Vaters oder Geburt der Tochter: Viele Seeleute sind in solch entscheidenden Augenblicken nicht bei ihren Familien. Ihnen dann beizustehen, ein Gebet zu sprechen, vielleicht einen Schutzengel zu schenken, signalisiere: Gott ist da – in Sorge und in Freude.
Harter Alltag auf See
Wer diesen Auftrag ernst nehme, stoße dabei auch auf Erschütterndes. Suizide und Piraterie seien nicht selten. Ebenso sind die Arbeitsbedingungen oft alles andere als rosig:
Asiatische Seeleute bleiben sechs bis neun Monate auf den Schiffen, teilen sich meist eine Kabine zu viert, manchmal auch mit sechs Mann. Da muss man schon sehr gefestigt sein, um das auszuhalten. Götz-Volkmar Neitzel
Die Seelsorge sei deswegen eine sehr wichtige Aufgabe der Seemannsmission. Genauso wie die Wertschätzung ihres Jobs. „Alles, wirklich alles, was wir kaufen, wird auf Containerschiffen gebracht“, sagt er. „Das nimmt nur kaum jemand wahr.“
Ein Ort des Willkommens
An diesem Geschäft hängen jedoch nicht nur Seeleute, sondern auch Hafenarbeiter, Personalagenturen, Seiler, Makler, Sicherheitspersonal, Werftarbeiter und Reeder. Dass all diese Berufsgruppen fair zusammenarbeiten, sei zwar wünschenswert. Die Durchsetzung konkreter Maßnahmen sei aber nicht Aufgabe der Seemannsmission. „Wir sind keine Gewerkschaft“, stellt Neitzel fest.
Wohl aber ein Ort, an Nächstenliebe und Ökumene gelebt werden: Nur eine kleine Gruppe der Seeleute ist evangelisch, die meisten sind katholisch oder russisch-orthodox, manche muslimisch, hinduistisch, andere konfessionslos. Sie alle erfahren in den Seemannsmissionen: „Du bist hier willkommen“, sagt Neitzel. „Und dann ergibt sich etwas.“
Nah an Bedürfnissen der Menschen
Oft sind es gerade die zufälligen Begegnungen, die den Unterschied machen. Erst kürzlich traf Neitzel auf eine Gruppe türkischer Seefahrer, die ihn fragte, wo sie in Hafennähe einen türkischen Supermarkt finden können. Kurzerhand fuhr er sie dorthin, vollgepackt mit heimatlichen Spezialitäten kehrten sie sichtlich fröhlich an Bord ihres Schiffes zurück, berichtet der Pastor.
Wahrscheinlich ist es gerade diese Art der „Hands on“-Mentalität, die die Deutsche Seemannsmission groß gemacht hat. Im Falle von Pastor Neitzel kommt auch eine gehörige Portion Respekt für den Seefahrer-Beruf hinzu.
Erfahrung mit kargen Bedingungen an Bord
2015 fuhr er selbst auf einem Frachtschiff mit. Seitdem weiß er, was es heißt, sich ohne Außenkontakt den Regeln an Bord zu beugen. Sterneküche, Spa und Landausflüge wie auf Kreuzfahrten gibt es da nicht. Auch im Internet surfen kann man nicht. „Da muss man Bücher haben oder seinen Privatrechner mit DVD‘s“, sagt er.
Für Neitzel waren das zwei Wochen seines Jahresurlaubs. Für die Menschen, die mit der Seefahrt ihr Geld verdienen, dauert der Aufenthalt auf den Containerriesen meist wesentlich länger.
Seefahrergottesdienst in St. Katharinen
In Corona-Zeiten waren asiatische Crews wegen der Infektionsgefahr im Extremfall 30 Monate nicht an Land, berichtet Neitzel. Obwohl dies gegen einen alten Kodex verstoße. Denn:
Der Landgang der Seefahrer ist seit der Antike ein Menschenrecht und kein Bonus, den die Reedereien gewähren. Götz-Volkmar Neitzel
Dass diese Ausnahmesituation endlich vorbei ist, feiert Pastor Neitzel zusammen mit den Kollegen der katholischen Seemannsmission Stella Maris und den nordischen Seemannsmissionen am 23. Juni (15 Uhr) mit einem Gottesdienst in der Hauptkirche St. Katharinen. Das Motto „Willkommen zurück an Land“.