Debatte um assistierten Suizid

Urteil zur Sterbehilfe: Kirche kann eigenen Weg finden und gehen

Assistierter Suizid: Rechtlich erlaubt ist er. Doch welchen Weg wird die Kirche gehen, um Menschen in Einrichtungen der Diakonie bis zum Tod zu begleiten? Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt hat zu einer Veranstaltungsreihe geladen, die dieses Thema erörtert.
Assistierter Suizid: Rechtlich erlaubt ist er. Doch welchen Weg wird die Kirche gehen, um Menschen in Einrichtungen der Diakonie bis zum Tod zu begleiten? Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt hat zu einer Veranstaltungsreihe geladen, die dieses Thema erörtert. © Unsplash, Simon Berger

10. Februar 2021 von Annette Klinkhardt

Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht dem assistierten Suizid den Weg geebnet. Die Nordkirche beleuchtet das Thema selbstbestimmtes Sterben nun in einer Veranstaltungsreihe. Zum Auftakt sprach Verfassungsrechtler Professor Michael German über das Urteil, seine Auslegung und die Hintergründe.

Eines ist klar: Das Thema bewegt viele – und das Interesse am Diskurs mit Kirchenvertretern ist enorm. Aus diesem Grund hatte die Nordkirche die Teilnehmerzahl bei der digitalen Veranstaltungsreihe erhöht. Eingeladen hatte dazu Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt. 

Debatte gewinnt in der Pandemie an Dynamik

"Die Debatte zu selbstbestimmtem Sterben und im Zusammenhang damit zu assistiertem Suizid gewinnt an Dynamik zu einer Zeit, in der uns durch die Corona-Pandemie besonders bewusst geworden ist, wie verletzlich und unverfügbar unser Leben ist. Wie abhängig von anderen Menschen, von der Natur, von globalen Entwicklungen. Wie wenig planbar und machbar. Und nicht wenige Menschen erleben das als einen irritierenden und kränkenden Angriff auf ihre zuvor empfundene Freiheit und Autonomie", sagte sie zum Auftakt. 

Aufzeichnung der Veranstaltung

Ausgelöst hatte die aktuelle Debatte um die Sterbehilfe in diakonischen Einrichtungen eine Stellungnahme des Ethikers Reiner Anselm, der Praktischen Theologin Isolde Karle und des Diakoniepräsidenten Ulrich Lilie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Anfang Januar.

Vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht dem assistierten Suizid den Weg geebnet, indem die Karlsruher Richter entschieden, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Paragraph 217 StGB) gegen das Grundgesetz verstoße. Derzeit laufen verschiedene Initiativen, dafür eine neue gesetzliche Regelung zu finden.

Patienten-Autonomie im Fokus

Als "handwerklich solide" und in sich konsistent bezeichnete Professor Michael Germann das Urteil, meinte aber kritisch: "In vielen Formulierungen zur Selbstbestimmung schießt das Bundesverfassungsgericht weit über das Ziel hinaus. Für seine Argumentation hat es den leichteren Weg gewählt, indem es den Lebensschutz und die Menschenwürde allein vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit her bestimmt." 

Zur Person

Michael Germann lehrt an der Universität Halle-Wittenberg Öffentliches Recht, Staatskirchenrecht, Kirchenrecht und ist Richter am Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt. Gleichzeitig wirkt er in den Rechtsausschüssen der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland und der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Der Jurist zeigte anhand der Urteilsbegründung, wie die Argumentation der Karlsruher Richter beim Selbstbestimmungsrecht des Menschen ansetzt, und zitierte dazu den ersten Leitsatz aus dem Urteil: "Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben." Dies sei eine Fortsetzung der seit langem etablierten Patientenautonomie: "So wie ein Patient lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen kann, so soll er auch selbst sein Leben beenden können", erläuterte der Jurist.

Der Clou dabei: Das Urteil lasse neben der Selbstbestimmung einen "Schutz des Lebens an sich" nicht gelten. Es verwehre dem Gesetzgeber jede Bewertung der Selbsttötung, solange diese nur selbstbestimmt ist, betonte Germann und führte plastisch aus: "Ein Volk von Lemmingen hat dem Gesetzgeber gleichgültig zu sein, solange diese nur tatsächlich über die Klippe springen wollen."

Kirche darf eigene Ansicht vertreten 

Eine Einstellung, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Veranstaltung nicht unberührt ließ. Sie wollten wissen, wie sich denn konkret die Beratung eines Suizidwilligen gestalten würde und ob diese überhaupt das Ziel des Lebensschutzes haben könne. Immer wieder auch die Frage: Wie sollen sich Kirche und Diakonie denn gegenüber diesem Urteil verhalten?

Professor Germann schlug vor, vorhandene Spielräume zu nutzen: "Das staatliche Recht lässt jedem die Freiheit, den Suizid anders zu bewerten als die Anbieter geschäftsmäßiger Suizidhilfe: Kirche und Diakonie können ihrem Handeln einen anderen Ausschnitt aus der Pluralität der Menschenbilder zugrunde legen und dürfen darin auch nicht beschränkt werden, solange sie nicht zu Formen greifen, die die Autonomie anderer beeinträchtigen."

Er ermutigte die evangelische Kirche, weniger ihrem Reflex zu folgen, "staatstragend" Urteile und Gesetze zu begrüßen: "Man könnte auch in der evangelischen Kirche mal fragen, wo wir durch das Evangelium von Jesus Christus irritiert werden in solchen Wertungen. Vielleicht bestätigt das Evangelium nicht immer nur affirmativ, was alle gerade so mehrheitlich denken, sondern eröffnet eine andere Sicht, die man dann in den gesellschaftlichen Diskurs und auch das eigene Handeln zu übersetzen hätte. Das ist allerdings schwieriger, als einfach nur zu bestätigen, dass der ethische Mainstream stimmt."

Jeden Fall für sich bewerten

Für die Diakonie bedeute das, in jedem Einzelfall verantwortungsvoll abzuwägen, wie sich die Einrichtung verhalten müsse und wie sie mit den Wünschen der Menschen umgehe, die ihr anvertraut sind: "Dieser individuelle Ansatz ist für die Diakonie das Angemessene: sich nicht in den Betrieb der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung hineinzubegeben, sondern zu versprechen, im Einzelfall auf den Menschen einzugehen und ihn zu begleiten, komme was da wolle."

Die nächsten Veranstaltungen im Überblick: 

  • Montag, 15. Februar, 18 bis 19.30 Uhr: "Selbstbestimmung und Willensfreiheit im Kontext der Diskussion um den assistierten Suizid in kirchlichen Einrichtungen" mit Dr. Dietrich Korsch, emeritierter Professor für systematische Theologie an der Universität Marburg.
  • Mittwoch, 24. Februar, 18 bis 19.30 Uhr: "Assistierter Suizid – Perspektiven aus der Diakonie" mit Dr. Annette Noller, Oberkirchenrätin und Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, zuvor Professorin für Theologie und Ethik in sozialen Handlungsfeldern/Diakoniewissenschaft an der evangelischen Hochschule Ludwigsburg.
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