"Talent Monument" – Moderne Kirchen unter Denkmalschutz
04. September 2023
Etwa 1900 Kirchen und Kapellen sind in den drei Sprengeln der Nordkirche zu finden. Angefangen bei frühen Feldsteinkirchen bis hin zu modernen Gebäuden aus der Zeit nach 1945 sind alle Stilepochen der Architekturgeschichte vertreten. Der Schwerpunkt des bundesweiten Tags des offenen Denkmals (10. September) liegt in diesem Jahr mit dem Motto "Talent Monument" auf den Bauwerken der jüngeren Vergangenheit. Viele Kirchengemeinden nehmen mit Veranstaltungsangeboten teil.
Kirchen mit Geschichten
„So modern und schon unter Denkmalschutz?“ – dass auch Gebäude aus der jüngsten Vergangenheit als denkmalwürdig angesehen und unter Schutz gestellt werden, weckt bei vielen Menschen Erstaunen. Doch als Zeichen ihrer Zeit mit ganz eigenem Charakter erzählen moderne Gebäude andere Geschichten als historische Bauwerke.
Notkirchen als Programm
Auf dem Gebiet der Nordkirche gibt es viele moderne Kirchen, die als Zeugnisse der jüngsten Vergangenheit zukünftig zu Denkmälern unserer Zeit werden könnten. So haben die aus dem Notkirchenprogramm in der Nachkriegszeit hervorgegangenen sogenannten Notkirchen bis heute Bestand. Der Architekt Otto Bartning, damals Leiter des Evangelischen Hilfswerks, gab vielen Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg mit seinen Kirchenbauten einen Ort des Glaubens und der Gemeinschaft. Sein Ziel war es, gemeinsam mit den Gemeinden Kirchen und Gemeindehäuser zu errichten.
Die Entwürfe entwickelte Bartning als serielles Programm, bei dem wichtige Teile vorgefertigt geliefert und innerhalb weniger Wochen aufgerichtet wurden. Die Gemeindemitglieder trugen durch Eigenleistung zum Bau bei.
Bartnings Leichtbau-Entwürfe kosteten meist nur die Hälfte dessen, was für einen Massivbau angefallen wäre, waren aber keinesfalls als Provisorien gedacht. Auf Nordkirchengebiet befinden sich beispielsweise die Bartning-Kapelle in Neubrandenburg, die St. Johanniskirche in Rostock, die Friedenskirche in Stralsund oder die Adventskirche in Hamburg Schnelsen.
Moderne Formensprache nach berühmten Vorbild
Unter Denkmalschutz steht auch die Thomaskirche in Kiel Schulensee. Ihre Anmutung lässt nicht ahnen, dass diese Kirche tatsächlich schon 1959 geweiht wurde. Der architektonische Entwurf kombiniert klassische Kirchenelemente – Turm, Altarraum, Hauptschiff – mit einer modernen Formensprache. Der Kontrast zwischen dem schwarzen Schieferdach und den weißen Außenwänden fällt zuerst ins Auge. Doch auch die Formgebung ist ungewöhnlich: Der Bau besitzt fast keine rechten Winkel oder Waagerechten und wirkt dadurch wie organisch gewachsen.
Auch Hamburgs jüngstes Gotteshaus ist bereits ein Denkmal. 1993 wurde in Hamburg Neuallermöhe die Franz-von-Assisi-Kirche erbaut. Mehr breit als hoch duckt sich das Gebäude unter einer tief herabgezogenen und leicht gewölbten Dachfläche wie unter einer schützenden Haube. Wie bei vielen modernen Kirchen wurde auf Bauschmuck verzichtet, so dass die im Gebäude verwendeten Materialien und Oberflächen – Holz, Fliesen, Backstein, Putz, Metall und Glas – besonders zur Wirkung kommen.
Für diese beiden Kirchen gilt, dass sie in ihrer Erscheinung ohne das Vorbild einer der berühmtesten Kirchen der Neuzeit nicht denkbar wären: Der Wallfahrtskirche Notre-Dame-du-Haut von Ronchamp. Sie liegt am Fuß der französischen Vogesen und gilt als Ikone der modernen Architektur. Entworfen wurde die Kapelle 1950 von Le Corbusier, einem der einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts.
"Kirchen für neue Städten" im Osten
Auch mit der Christuskirche in Greifswald verbindet sich eine besondere Geschichte. Während der Kirchenbau als Architekturgattung in der BRD in den späten 1970er Jahren fast zum Erliegen kam, öffnete sich in der DDR ein Fenster für neue Projekte – mit Mitteln der Gliedkirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands. So wurde in der DDR Anfang der 70er Jahre ein Bauprogramm für Kirchen und Gemeinden ins Leben gerufen. Unter dem Schlagwort „Kirchen für neue Städte“ entstanden im sogenannten Sonderbauprogramm rund 80 Gottesdiensträume.
Die Christuskirche, dessen Entwurf aus einem Studenten-Wettbewerb der Fachhochschule Hamburg hervorging, ist die erste Kirche in einem „sozialistischen“ Neubaugebiet und wurde 1984 geweiht. Auffällig an dem Entwurf ist, dass sich die verschiedenen Baukörper – Pfarrhaus, Gemeindehaus, Kirche und Turm – gleichwertig um einen Hof gruppieren und der Gesamtanlage einen großzügigen und einladenden Charakter geben.
Die größte Kulturveranstaltung Deutschlands
Auf dem Gebiet der Nordkirche nehmen zahlreiche Kirchengemeinden am Tag des offenen Denkmals teil. An vielen Orten besteht die Möglichkeit, denkmalgeschützte Gebäude zu besuchen, im Rahmen von sachkundigen Führungen Wissenswertes über das Denkmal zu erfahren oder sogar einmal den Blick „hinter die Kulissen“ zu werfen. Weitere Informationen sind auf den Internetseiten der Kirchengemeinden vor Ort zu finden.