Wie verändert uns die Technik?
19. Mai 2017
"Der digitale Wandel in ethisch-theologischer Sicht" - das war das Thema von Dr. Ralph Charbonnier, EKD-Referatsleiter Sozial- und gesellschaftspolitische Fragen, auf dem Fachtag "Digitaler Wandel", der am 16. Mai in der GLS Bank in Hamburg stattfand. Darin zeigt sich: Auch große Datenmengen zeigen nicht unbedingt das ganze Bild. Viel mehr werfen sie noch mehr ethische Fragen auf, die diskutiert werden sollten. Eine Kurzzusammenfassung.
Der technologische Wandel verändert laut Charbonnier drei maßgebliche Bereiche: Erstens das Verständnis der Wirklichkeit, zweitens die Selbstbestimmung und das Selbstverständnis sowie drittens das Miteinander der Gesellschaft. Fest stehe jedoch: "Digitalisierung durchzieht alle Bereiche des Lebens, es ist ein Querschnittsthema, das alle in der Kirche betrifft."
Durch Übersetzung wird die Komplexität reduziert
Die Grundlage des technologischen Wandels geht zurück auf Leibniz, der zum Ende des 17. Jahrhunderts das nur auf 0 und 1 basierende binäre Zahlensystem erfand. "Dies war zeichentheoretisch ein wichtiger Schritt", so Charbonnier. Damit konnte sowohl das Dezimalsystem als auch das Alphabet entsprechend übersetzt werden und diente sehr viel später - im 20. Jahrhundert - als Grundlage für die Entwicklung von Computern. Diese "Sprache" wird nach wie vor verwendet, damit analoge in digitale Informationen umgewandelt werden können. "Dies ist nicht nur ein technischer Vorgang, sondern auch ein hermeneutischer", so Charbonnier. Denn es finde eine Art Interpretationsvorgang statt: Sobald Sensoren Informationen aufnehmen, blenden sie immer einen Teil der Wirklichkeit aus. Gleichzeitig findet ein Übersetzungsvorgang ins Digitale statt - was bedeutet, dass der gesamte Prozess mit einer Komplexitätsreduktion einhergeht.
Die Frage, die sich daraus ergibt: Wenn schon der Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess zu einer Reduzierung der Komplexität führt - kann man dann darauf angemessen Handlungsentscheidungen aufbauen?
Wie verändert die Technik das Selbstbild?
Fitnessarmbänder beispielsweise zeichnen bestimmte Daten des Nutzers permananent auf. Dies bringt die empirische Medizin voran, doch auch hier werden nur Ausschnitte gezeigt, also auch ein reduziertes Bild des Menschen. Dieses "Lifelogging" oder "Selftracking" wird aber zunehmend dazu genutzt, Entscheidungen zu fällen (beispielsweise im Bereich der Versicherungen, bestimmten Kunden Prämien zu gewähren oder Beiträge steigen zu lassen).
Charbonnier stellt die Fragen: Ist es richtig zukünftige Entscheidung auf Basis von großen Datenmengen aus der Vergangenheit zu treffen? Also auf eine Basis, die weniger auf Kausalität, sondern vielmehr auf Statistik gegründet ist? Und: Handeln wir dann noch frei?
Angeschlossen an diese Frage folgt auch: Wer trägt die Verantwortung, wenn die Entscheidung sich nicht auf Ethik oder dem Glauben gründet? Diese Frage wird besonders in den Bereichen kritisch, in denen es beispielsweise um selbststeuernde Drohnen oder selbstfahrende Autos geht.
Führt die Digitalisierung zu mehr Fremdbestimmung?
"Daten werden verkauft, ohne dass wir Kommunikationsströme kontrollieren können", sagt Charbonnier. Auch wenn die Vorteile der Dienste und sozialen Medien auf der Hand liegen, komme in einem zunehmenden Maße die Privatsphäre abhanden. Doch eine Reflektion über Glaubensfragen brauche eine Intimsphäre, Räume in denen Ruhe herrsche. Denn Ideen könnten nicht reifen, wenn ständig die Gefahr bestünde, sie könnten mitgeschnitten und verbreitet werden, bevor sie ausgereift sind.